Unter Den Augen Tzulans
sich auf dem besten Wege befand, einer der herausragendsten Geschichtenerzähler Bardhasdrondas zu werden, wenn Fleiß und Begabung im Alter nicht nachlassen würden. Arnarvaten, so hieß der junge Kalisstrone, erschien beinahe täglich in der Kate und wurde niemals müde, ganz langsam seine Fragen in Ulldart zu stellen. Noch kamen die Worte eher falsch, langsam und unverständlich, aber der Junggelehrte war ein unerschöpflicher Brunnen an Geduld.
Matuc vermutete dagegen, dass den Mann weitaus mehr als die Wissbegierde nach Geschichten, Sagen und Legenden, die er eifrig in ein Buch notierte, in die Unterkunft der Gestrandeten trieb. Entweder hatte die allmählich, aber unübersehbar heranwachsende Borasgotanerin sein Interesse noch nicht bemerkt, oder sie tat so, als würde sie es nicht bemerken. Wie alle Männer trug er seinen schwarzen Bart besonders barbiert. Dass er die Rasur noch übte, konnte man an den zahlreichen Schnittwunden im Gesicht erkennen, mit denen er auftauchte.
Sein ständiger und Stápas regelmäßiger Besuch führten vor allem dazu, dass sie recht schnell die wichtigsten Worte der fremden Sprache verstanden und reden konnten. Und je näher sich der Winter dem Ende zuneigte, umso sicherer wurden die beiden Ulldarter, wenn sie auch ihren tarpolischen beziehungsweise borasgotanischen Dialekt im Kalisstronischen beibehielten.
An die Eigenarten der Menschen mussten sich die Gestrandeten erst noch gewöhnen.
Die Kalissrri vermieden es, laut zu lachen. Es galt ebenso als unhöflich wie lautes Rufen oder Schreien. Man lächelte sich an, kicherte oder zeigte seine Heiterkeit beherrscht, was vor allem Fatja große Probleme bereitete, die es bisher noch nicht eingesehen hatte, ihrer borasgotanischen Frohnatur einen diplomatischen Dämpfer aufzuerlegen, wie es vielleicht besser gewesen wäre. Noch behandelte man das Mädchen mit Nachsicht, vermutlich weil die Schicksalsleserin ohne zu lachen ein recht erwachsenes Gesicht zur Schau trug.
Ohnehin wurde Fatja auf eine harte Probe gestellt. Von ihr wurde, wie von allen offensichtlich Jüngeren, erwartet, dass sie den Älteren grundsätzlich Vorrang einräumte. Egal wo, beim Einkauf auf dem Markt, bei Engstellen in Straßen und Gassen, die Betagten waren zuerst an der Reihe. Wo der Altersunterschied keine Rolle spielte, galt man als gleichrangig.
Matuc hatte herausgefunden, dass es zumindest im Osten des Kontinents keinen König oder einen anderen Herrscher gab.
Die Macht lag in den großen Städten, die das Umland und die Dörfer mit einschlossen, das Zusammenleben durch einen gewählten Rat und einen Bürgermeister regelten. Mehrere Städte schlossen sich mitunter zu Bünden zusammen, wenn es darum ging, Gefahren gemeinsam zu bekämpfen, wie beispielsweise vor vielen, vielen Jahren die Piraten aus Rogogard. Auch Kriege wurden geführt, wenn sich diese Stadtstaaten in ihrer Souveränität oder ihrem Territorium bedrängt sahen. Doch ereigneten sich diese Auseinandersetzungen nur selten. Niemand setzte gerne das Leben der Bevölkerung, die als Miliz eingesetzt wurde, aufs Spiel, denn Menschen waren wichtige Überlebensfaktoren für eine Stadt.
Die Kalisstri waren in erster Linie Jäger und Fischer. Das Meer lieferte ihnen alles, was sie benötigten, im Umland wurden Pelztiere gejagt, um mit deren kostbarer Haut Handel zu treiben. Die Palestaner und Agarsiener, die außerhalb der Stadt tatsächlich noch Kontore unterhielten, liefen die Küste ein bis zwei Mal im Jahr an, um Geschäfte zu machen.
Ansonsten mieden die Kalisstri den Kontakt zu den »Fremdländlern«. Offensichtlich war es den Bewohnern nicht gelungen, eine erfolgreiche Landwirtschaft zu betreiben. Die Dörfer des Hinterlandes betrieben auf dem Weideland überwiegend Viehzucht, ein paar knorrige Obstbäume leisteten erbitterten Widerstand gegen die unsäglichen Bedingungen, ansonsten wuchs Wald und viel Gras. Das wertvolle Getreide musste, wie Blafjoll es schon erzählt hatte, aus dem Süden gegen teures Geld herbeigekarrt werden. Verständlich, dass diese FuhrUnternehmer, von denen es in Bardhasdronda vier Stück gab, zu den reichsten Einwohnern gehörten: Die Gewinnspannen waren enorm hoch.
Einen großen Vorteil gegenüber Ulldart hatte das Land jedoch: Es gab weitaus mehr Cerêler, was wohl mit der Schöpfungsgeschichte Kalisstrons zu tun harte.
Die Cerêler, die als von Kalisstra Berührte galten, standen meistens den Städten vor und fühlten sich zudem verpflichtet, ihre heilenden
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