Unter der Hand (German Edition)
ich diese Religion wieder anstößig finden und verborgen halten müssen wie eine blamable Erkrankung. Neben mir Nina, warm und lebendig, die Madonnen-Hände, mit denen sie gerade noch so heftig gestikuliert hatte, liegen nun in ihrem Schoß wie gemalt.
Eine Stunde später treten wir erledigt in die Nacht, Nina hakt sich ein, unsere Füße tasten sich vorwärts, auf nassem Laub, rutschigen Kastanien. Der Himmel hängt voller Schlieren wie ungeputzte Brillengläser, gleichzeitig mit dem Cat-Stevens-Double erreichen wir den Parkplatz. Der Sänger trägt seine Gitarre geschultert, als wäre sie ein Maschinengewehr, und steigt in einen Geländewagen, der mit den Ortsnamen seiner Tournee beklebt ist. Er grüßt mit einem halben Salutieren, und Nina sagt kühl: Der war beim Bund.
Zwischen den Wolken schiebt sich der Mond hervor, kaum halbvoll, ein Rentner, denke ich, ein Rentner. Und weiß nicht, warum.
Bis kurz vor München schweigen wir, in der winzigen Kabine des Autos stellt sich ein Gefühl ein wie in einem Alkoven, etwas Behütetes, Schlafverpupptes befällt den Innenraum, das keinen Ausdruck sucht.
Erst als wir die Prinzregentenstraße erreichen, frage ich Nina, ob sie Franz in der Praxis kennengelernt habe.
Ich bin in die Praxis gekommen, weil wir uns bereits kannten.
Woher?
Willst du es wissen?, fragt Nina mit kaum zu überhörender Angriffslust.
Ja.
Wir haben uns über
Heartline
gefunden, sagt sie, im Internet.
Das heißt, Franz hat gesucht, während er mit mir zusammen war? Ihr habt euch gar nicht auf der Fortbildung kennengelernt?
Sieht so aus.
Warum?
Warum was?
Warum hast du jemanden auf diese Weise gesucht?
Ach, sagt Nina, Risikominimierung zum Beispiel.
Ich studiere ihr Profil in der Hoffnung, feststellen zu können, ob sie es ernst meint oder nicht.
Kann ja nicht jeder so eine Überschwänglerin sein wie du!, fügt sie an, als sie meinen Blick spürt.
Bin ich das?
Hoffnungslos, sagt Nina, aber sympathisch. Mich hat der Überschwang zur alleinerziehenden Mutter gemacht – sie schaut kurz zu mir hinüber –, nicht, dass ich es bereue! Aber mehr Überschwang brauche ich für den Rest meines Lebens nicht. Mit Franz kann ich rechnen.
Darauf erwidere ich nichts – schließlich habe ich erfahren, was sie meint.
Wie ein Kind lasse ich mich von ihr nach Hause bringen, die Oberstimme führt der erneut gleichmäßig strömende Regen, den Generalbass übernimmt der Dieselmotor. Es ist das nächtliche München, durch das wir fahren, aber es könnte ebenso gut die Umlaufbahn des kleinen Häwelmannes sein, der, im Übermut seiner rasenden Fahrt im eigenen Bettchen, die Sterne zu duzen beginnt.
Dreiundzwanzig
Wir sind zu dritt in Lottes Küche: Parwiz, Anja und ich. Lotte steht mit dem Rollator im Türrahmen, aus ihrem Gesicht ist nicht ganz erkennbar, was sie von der Invasion in der Küche hält. Um uns herum die Holzlöffel und Kupferpfannen, die von Lottes Reisen als Frau Kaczarek zeugen. Wie Totems an die Wand geschlagen, gewichtige Souvenirs. Lotte bemerkt meinen Blick und sagt: So eine Schlepperei war das.
Wenn ich reiste, würde ich mich am liebsten als Luftpost aufgeben und ebenso unbeschwert zurückkehren. Höchstens einen Stein vom Weg mitnehmen als handlichen Bürgen. Aber Pfannen und Schöpflöffel ließe ich, wo sie hingehören: bei den Riesen der Hohen Tatra oder den Beskiden-Trollen. Anja und Parwiz dagegen sind von Lottes Küchendekoration begeistert und fragen, ob unsere Vorfahren damit an ihren Feuerstellen hantiert haben.
Wir haben heute Nachmittag in der LernForm beschlossen, gemeinsam bei Lotte zu kochen, zum Essen habe ich auch Heinrich eingeladen. Die telefonische Ankündigung hat Lotte mit einem stoischen
meinetwegen
aufgenommen. Als sie mich nach den Pferden fragt, fürchte ich um Anjas und Parwiz’ Fassung, aber sie bleiben bis auf einen bedeutungsvollen Blickwechsel ganz ruhig.
Der Hufschmied war da, erfinde ich, kein Ausritt heute.
Wer sind die beiden?
Bevor ich antworten kann, sagt Parwiz: Ich habe Sie im Krankenhaus besucht, ich habe Sie gekämmt. Und dann nochmal, später. Erinnern Sie sich?
Kann sein, sagt Lotte und schiebt den Rollator bis zu Anja.
Anja ist seine Freundin, erläutere ich.
Das muss doch wehtun, sagt Lotte und deutet auf Anjas gepiercte Oberlippe. Aber Ohrringe hätte ich gern!
Anja schaut Lotte mit einem Interesse an, das man geradezu als wissenschaftlich bezeichnen muss. So als ginge es darum, sie einer Spezies zuzuordnen, oder auch
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