Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
stotterte sie und spürte zu ihrem Ärger, dass sie errötete wie ein Schulmädchen.
»Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen einen Rat gebe, auch wenn wir uns kaum kennen«, Kostidis beugte sich etwas vor und senkte seine Stimme, »seien Sie vorsichtig bei der Wahl Ihrer Freunde. Auch wenn es aufregend sein mag, es ist gefährlich, mit den Haien zu schwimmen. Es sei denn, sie sind selber einer, aber das glaube ich nicht.«
Er ließ ihre Hand los und lächelte wieder.
»Übrigens, die Toiletten finden Sie, wenn Sie die Treppe im Foyer hinuntergehen«, er zwinkerte ihr noch einmal zu, bevor er die Tür öffnete und verschwand. Alex starrte ihm wie betäubt nach. Sie hatte täglich mit wichtigen und einflussreichen Menschen zu tun und ließ sich schon lange nicht mehr von ihnen beeindrucken, aber Nicholas Kostidis war das soeben gelungen. Er hatte sie tief beeindruckt. Und er hatte sie verunsichert.
***
Sergio Vitali betrat das Lagerhaus an den Brooklyner Docks, über dessen Eingangstür ein Schild mit der Aufschrift Fichiavelli & Sons – Italian Wine and Food Company angebracht war. Ihm stand der Sinn überhaupt nicht nach einer weiteren sinnlosen Diskussion mit seinem missratenen jüngsten Sohn, aber Cesare hatte wieder einmal grandiosen Mist gebaut. Nelson hatte Cesare am Morgen gegen Kaution aus dem Gefängnis geholt und Sergio hatte befohlen, den Jungen nach Brooklyn zu bringen. An diesem Samstagmorgen waren die Büros, die Lager, Kühlräume und Laderampen wie ausgestorben, nur im vordersten Büro warteten drei Männer auf Sergio. Er nickte Silvio Bacchiocchi und Luca di Varese zu und musterte seinen jüngsten Sohn, der mit einer Mischung aus Trotz und Angst seinen Blick erwiderte, aber mit verschränkten Armen sitzen blieb, während sich die beiden anderen Männer erhoben. Cesare war 21, ein hübscher junger Mann mit den blauen Augen und dem sinnlichen Mund seines Vaters, der leider nicht die geringste Neigung zeigte, irgendeiner Arbeit nachzugehen. Im Gegensatz zu seinen älteren Brüdern Massimo und Domenico, die Schule und Studium zielstrebig abgeschlossen hatten und im Unternehmen des Vaters arbeiteten, war Cesare nicht besonders intelligent, und besaß dazu ein unbeherrschtes und hitziges Temperament, das ihn häufig genug in Schwierigkeiten brachte. Sergio hatte unzählige Male seine Beziehungen spielen lassen, um Cesare zu helfen. Er hatte im Laufe der Jahre sieben verschiedenen Schulen ansehnliche Spenden zukommen lassen, damit der Junge wenigstens einen Schulabschluss bekam, aber alle Hilfe war vergeblich gewesen.
»Hallo, Cesare«, sagte Sergio, der nicht die geringste Lust hatte, sich um dieses verzogene Bürschchen kümmern zu müssen.
»Hi, Dad«, antwortete Cesare.
»Steh auf, wenn ich mit dir rede.«
Cesare zog die Nase hoch und blieb sitzen. Luca und Silvio bemerkten, wie Sergios Gesicht kalt wie Eis wurde und sich seine Wangenmuskulatur anspannte. Diesen Ausdruck kannten und fürchteten sie. Silvio Bacchiocchi arbeitete seit 25 Jahren für Sergio, er war Ende 40, blond und blauäugig, wie viele seinernorditalienischen Vorfahren und neigte zum Dickwerden. Durch Sergio war er ein wohlhabender Mann geworden und dankte ihm dies mit bedingungsloser Treue. Niemand, der den netten und immer fröhlichen Silvio kannte, hätte es für möglich gehalten, dass er die Geschäfte für seinen Boss mit eiserner Hand führte und vor nichts und niemandem zurückschreckte.
»Steh schon auf, wenn dein Papa mit dir spricht«, sagte er zu Cesare, der daraufhin widerwillig gehorchte. Sergio sah seinen Sohn an, bemerkte die laufende Nase und den dünnen Schweißfilm auf dessen Stirn.
»Du nimmst das verdammte Zeug, nicht wahr?«, stellte er fest. Cesare rieb sich nervös die Hände, wischte sie an seiner Jeans ab und wich dem Blick des Vaters aus.
»Antworte mir gefälligst!«
»Ab und zu. Aber nicht viel.«
Das war gelogen. Sergio hatte schon genug Kokser gesehen, um zu wissen, wie einer aussah, der regelmäßig das teuflische weiße Pulver schnupfte. Es wunderte ihn nicht einmal, denn Cesare war hinter seinem großen Maul und seiner Brutalität ein schwacher Mensch.
»Du hast dich verhaften lassen, du Idiot! Warum bist du nicht abgehauen?« Sergio kochte vor Zorn über so viel Dummheit. »Hast du eigentlich noch immer nichts kapiert? Du heißt mit Nachnamen ›Vitali‹ und du weißt, was das bedeutet. Weshalb hast du nicht wenigstens das Zeug weggeworfen, als die Bullen aufgetaucht sind? Die Presse wird
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