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Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien

Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien

Titel: Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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nicht Ihre Schuld, Nick«, eine Träne rollte ihr über die Wange, »und Ihre Frau würde ganz sicher nicht wollen, dass Sie hier sitzen und sich mit Selbstvorwürfen quälen.«
    »Nein«, seine Stimme klang belegt, »das würde sie nicht wollen. Sie ... sie glaubte sehr stark an Gott und fand immer Trost in der Bibel.«
    Alex spürte, wie er erschauerte.
    »Der Herr ist mein Hirte«, flüsterte er, »mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zu frischem Wasser. Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße, um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte in finsterem Tal, fürchte ich kein Unheil, denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich. Du deckst einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbst mein Haupt mitÖl und schenkst mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen ein Leben lang, und ich werde weilen im Hause des Herrn immerdar.«
    Bei diesen Worten rannen Alex plötzlich die Tränen über die Wangen.
    »Psalm 23. Es war ihre Lieblingsstelle in der Bibel. Ich sage die Worte immer wieder und warte darauf zu verstehen, was Mary daran Tröstliches fand.«
    Seine Stimme versagte, seine Hand krampfte sich um Alex’.
    »Oh Gott«, stieß er hervor, »ich vermisse sie so sehr! Ich dachte immer, wir hätten noch unendlich viel Zeit, aber jetzt sind sie tot, und wir hatten überhaupt keine Zeit mehr!«
    Nick sah Alex’ Tränen, er spürte ihre echte Anteilnahme an seinem Schmerz. Vielleicht war es das Wissen darum, dass er nicht mehr alleine war, sondern dass ein anderer Mensch seinen Schmerz verstand, das mit einem Mal den Staudamm in seinem Innern bersten ließ. Plötzlich strömten die lang unterdrückten Tränen über sein Gesicht und er schämte sich ihrer nicht. Der mächtige, furchtlose Nicholas Kostidis gestattete es sich, schwach und mutlos zu sein, er weinte, wie Alex noch nie einen Menschen hatte weinen sehen. Es war das schreckliche Schluchzen eines Verzweifelten und sie konnte nicht verhindern, dass sie mitweinte. Sie nahm den Mann, der ihr so unerwartet sein Vertrauen geschenkt hatte, in den Arm.
    »Oh Gott«, schluchzte er voller Qual, »warum hast du mir das nur angetan? Warum hast du mir das Liebste genommen, was ich hatte?«
    Er rutschte von der Bank, fiel auf die Knie und weinte verzweifelt, das Gesicht in Alex’ Schoss gepresst. Sie hielt ihn einfach nur fest, streichelte sein Haar und ließ ihn die erlösenden und befreienden Tränen weinen. Sein abgrundtiefer Kummer erschütterte sie tief, gleichzeitig empfand sie Hochachtung vor diesem Mann, der dazu fähig war, seine echten und ehrlichen Gefühle zu zeigen. Kein Mann, der ihr bisher begegnet war, wäre jemals zu einer solch entwaffnenden Gefühlsäußerung fähig gewesen. Sorgsam darauf bedacht, sich keine Blöße zu geben, verbargen sie ihre Gefühle hinter beherrschten Gesichtern. Dabei waren es gerade die Schwächen, die einen Menschen liebenswert,weil menschlich machten. Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis Nicks Weinkrämpfe langsam abebbten und in ein trockenes Schluchzen übergingen, das seinen ganzen Körper erschütterte. Wie ein Kind, das Trost und Geborgenheit sucht, klammerte er sich an Alex, und sie ließ ihn weinen und streichelte mitfühlend und verstehend seine Hände und sein Haar.
    »Es wird ja alles wieder gut«, murmelte sie, »es wird alles wieder gut.«
    »Wird es das wirklich?« Nick hob sein tränennasses Gesicht, um sie anzusehen. Seine Augen waren vom Weinen gerötet.
    »Ja«, sie nickte, »das wird es ganz bestimmt. Alle Wunden heilen und zurück bleibt die Erinnerung an alles Schöne, was man miteinander erlebt hat. Es wird kein Vergessen geben, aber ein Verstehen.«
    »Wie können Sie so sicher sein, Alex?«
    Nick kniete noch immer vor ihr und sie hielt seine beiden Hände.
    »Weil es so ist. Weil ich es selbst schon erlebt habe.«
    Nick lehnte sein Gesicht wieder an ihr Knie und holte zitternd Luft.
    »Es tut mir leid, dass ich so die Fassung verloren habe«, murmelte er.
    »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, antwortete Alex weich. »Es würde mich sehr froh machen, wenn ich wüsste, dass ich Ihnen auch nur ein kleines bisschen helfen konnte. Es gibt Zeiten, da braucht man jemanden, der einem zuhört und versucht, zu verstehen.«
    »Tun Sie das?« Nick sah sie wieder an. »Verstehen Sie mich?«
    »Ich glaube schon«, Alex betrachtete sein zerquältes und hoffnungsloses Gesicht nachdenklich. Sie streckte eine Hand aus

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