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Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien

Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien

Titel: Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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Menschen, die Alex noch zwölf Stunden vor dem schrecklichen Attentat gesehen hatte! Sie hatten sterben müssen, weil Sergio es so befohlen hatte. Sie drehte sich langsam um und blickte in die schwarzen Augen des Mannes, den sie zum ersten Mal an dem Abend im City Plaza Hotel vor beinahe zwei Jahren gesehen hatte. Er hatte sie damals gewarnt, aber sie hatte nicht auf ihn gehört. Alex erinnerte sich an die lebhafte Intensität seiner Augen, sie erinnerte sich an Nicks Lachen, als sie nun erschüttert sein erstarrtes, erloschenes Gesicht ansah. Er war in den letzten Monaten um Jahre gealtert. Mit einem Mal hatte sie vergessen, weshalb sie eigentlich hierhergekommen war. Stumm setzte sie sich neben ihn auf die Bank, deren Holz von der Feuchtigkeit des Nebels glänzte. Die Glocken hatten aufgehört zu läuten, durch die dicken Mauern der Kirche, die nur schemenhaft im dichten Nebel zu sehen war, drang leise der Klang der Orgel bis auf den Friedhof hinaus.
    »Ich sitze hier seit fast drei Monaten jeden Tag«, sagte Nick nach einer ganzen Weile mit leiser Stimme, »stundenlang. Ich warte darauf, dass ich endlich weinen kann. Es tut so weh, aber ich kann nichts empfinden außer meiner Schuld. Ich kann nachts nicht schlafen, weil mich diese entsetzlichen Bilder bis in meine Träume verfolgen.«
    Er fuhr sich mit einer Hand durch sein Haar, das grauer geworden war.
    »Ich habe vorgeschlagen, sie sollten mein Auto nehmen, weil Christophers Auto nicht anspringen wollte. Sie haben es getan und nun sind sie tot.«
    Alex war tief berührt von dem Vertrauen, das dieser Mann, den sie eigentlich kaum kannte, ihr entgegenbrachte, und sie spürte, dass Nick reden wollte, reden musste, um nicht zu ersticken. Er blickte für einen Moment ins Leere.
    »Ich würde so gerne um sie weinen können. Aber ich kann es nicht. Alles in mir ist tot. Ich frage mich nur immer wieder: warum? Warum Mary? Warum mein Sohn? Warum das Mädchen? Sie konnten doch nichts dafür, dass ich ... ich ... Oh Gott, ich bin schuld, weil ich nicht auf die Warnungen hören wollte. Ich bin schuld, weil ich nichts anderes im Kopf hatte, als Vitali hinterher zu jagen, dabei hat Mary mich immer und immer wieder gebeten – nein – angefleht , es nicht zu tun.«
    Er verstummte und Alex hörte, wie er schluchzend Luft holte.
    »Wie kann ich damit leben? Wie kann ich jemals wieder gutmachen, was ich getan habe?«
    »Aber Sie haben doch nichts getan. Er war es, der etwas getan hat.«
    »Nein«, Nick schüttelte den Kopf, »ich war besessen von dem Wunsch, ihm das Handwerk zu legen. Ich hätte ihn nicht provozieren dürfen.«
    Er verzog das Gesicht.
    »Was würde es schon ändern, wenn er heute im Gefängnis säße? Mit seinen Beziehungen wäre er schnell wieder draußen und nichts hätte sich geändert. Aber wenn ich ihn nicht so verfolgt, ihn nicht öffentlich angegriffen hätte, dann würden sie heute noch leben.«
    Nick verbarg das Gesicht in den Händen und Alex verstand kaum, was er sagte.
    »Ich war arrogant und fanatisch. Ich habe geglaubt, mir würde niemals etwas passieren. Aber ich habe mich geirrt. Es kommt mir fast so vor, als ob Gott mich für meinen Stolz und meine Überheblichkeit strafen wollte.«
    »Nein«, widersprach Alex ihm leise, »Sie haben nur gewagt, die Wahrheit über Vitali zu sagen. Und damit wurden Sie ihm gefährlich. Das war sehr mutig von Ihnen.«
    »Mutig?« Seine Stimme klang bitter. »Das war nicht mutig, sondern dumm.«
    »Sie haben mich einmal vor Vitali gewarnt«, sagte Alex. »Ich habe Ihnen damals nicht glauben wollen, aber nun musste ich erfahren, dass Sie Recht hatten.«
    Er sah sie aus blutunterlaufenen Augen an.
    »Niemand kommt an ihn heran. Er ist stärker, weil er gewissenlos und brutal ist.«
    »Doch«, antwortete Alex, »man kann an ihn herankommen. Ich habe Dinge über ihn erfahren, die ihn ruinieren würden.«
    »Vor ein paar Monaten hätte ich mich gefreut, das zu hören«, Nick seufzte, »jetzt ist es mir gleichgültig. Es würde meine Familie nicht mehr lebendig machen.«
    Alex schwieg. Sie konnte ihn verstehen.
    »Warum sind Sie hierhergekommen, Alex?«, fragte Nick und sie sah ihn an. Sie erkannte die Qual und die Selbstvorwürfe in seinen Augen, den Kummer und den Schmerz. Am liebsten hätte sie ihn in die Arme genommen und getröstet.
    »Ich habe Ihre Frau nicht gut gekannt«, flüsterte Alex und kämpfte mit den Tränen, »aber ich habe sie sehr geschätzt. Und ich mag auch Sie, Nick. Es tut mir in der Seele weh,

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