Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
wie sie esvon ihm kannte. Er sprach mit seinem Assistenten, diesem Frank Cohen, der sie gestern so höflich, aber bestimmt abgewimmelt hatte, und wiederholte die ganze Geschichte. Als er das Gespräch beendet hatte, wandte er sich Alex zu.
»Wie geht es Ihnen?«, fragte er mit ehrlicher Besorgnis und ergriff ihre Hand.
»Das sollte ich besser Sie fragen«, sie versuchte ein Lächeln, das ihr nicht recht gelingen wollte. »Immerhin hat man auf Sie geschossen.«
Nick betrachtete sie freundlich. Die Verzweiflung war aus seinen dunklen Augen verschwunden.
»Ich verdanke Ihnen sehr viel, Alex«, sagte er leise. »Sie haben mich heute ins Leben zurückgeholt und mir dieses gleich darauf gerettet. Heute Morgen wäre ich noch am liebsten tot gewesen, aber jetzt merke ich, dass ich doch an diesem bisschen Leben hänge.«
Pater Kevin, der schweigend zugehört hatte, räusperte sich.
»Kann ich dir irgendwie helfen, Nick?«
Nick, der Alex angesehen hatte, wandte sich um.
»Nein. Nein, danke«, erwiderte er. »Es tut mir leid, dass ausgerechnet hier so etwas geschehen musste. Die Polizei wird gleich hier sein.«
Der Pater machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Hauptsache, es ist niemandem etwas passiert. Weißt du, wer das gewesen sein könnte?«
Nicks Gesicht verdunkelte sich, er schluckte mühsam. Alex drückte leicht seine Hand, die noch immer ihre festhielt.
»Ich fürchte«, sagte er mit gepresster Stimme, »es waren dieselben Leute, die mich mit der Autobombe töten wollten.«
***
Eine halbe Stunde später war der sonst so stille Friedhof voller Menschen. Polizisten durchkämmten jeden Winkel nach Spuren, die auf den Schützen hinweisen konnten. Männer von der Spurensicherung in weißen Papieranzügen untersuchten den Grabstein, in dem die Kugel steckte, die aus einem Präzisionsgewehr mit Schalldämpfer abgefeuert worden war. Sie krochen unter dergroßen Eibe herum, suchten nach Schuhabdrücken und sprachen mit Friedhofsbesuchern. Nick stellte Alex seinen Assistenten vor, der aus der City Hall gekommen. Nach ihrem Telefonat gestern hatte sie ihn sich ganz anders vorgestellt, älter und unsympathischer. In Wirklichkeit war Frank Cohen kaum älter als sie, er hatte ein ernstes, schmales Gesicht, kurzes dunkles Haar. In seinen Augen hinter dicken Brillengläsern erkannte sie einen ihr mittlerweile sehr vertrauten Ausdruck: Er hatte Angst.
»Nick«, sagte sie nun leise, »ich kann der Polizei nicht sagen, woher ich den Mann kenne.«
Er blickte sie an.
»Das hat einen Grund. Aber bevor ich mit der Polizei spreche, möchte ich Ihnen alles erzählen. Bitte.«
»Natürlich«, er nickte, »wir sagen der Polizei, dass Sie eine zufällige Friedhofsbesucherin sind. Einverstanden?«
Alex nickte erleichtert.
»Kommen Sie«, er legte ihr den Arm um die Schulter, »fahren wir in mein Büro. Hier werden wir sowieso nicht mehr gebraucht.«
Alex war das erste Mal in der City Hall. Beeindruckt sah sie sich in dem großen Büro des Bürgermeisters von New York City um. Während der letzten Stunden hatte sie völlig vergessen, wer Nick eigentlich war. Sie kannte viele mächtige und einflussreiche Männer, aber Nick Kostidis war der erste, der ihr gezeigt hatte, dass auch ein mächtiger Mann ein Herz und Gefühle haben konnte. Frank Cohen kochte Kaffee und ließ Pizza holen. Obwohl Alex geglaubt hatte, keinen Bissen herunterbringen zu können, verspürte sie plötzlich einen Bärenhunger. Nachdem sie zwei Tassen Kaffe getrunken und eine halbe Pizza Prosciutto gegessen hatte, fühlte sie sich besser. Schließlich begann sie zu erzählen. Sie erklärte den beiden Männern kurz ihre Tätigkeit bei LMI, dann sprach sie von Sergio. Sie war erstaunt, wie leicht es ihr fiel, vor dem Bürgermeister und seinem Assistenten über all das zu sprechen, was sie bisher niemandem gegenüber auch nur erwähnt hatte. Es kam ihr fast wie eine Beichte vor, und wie eine solche erleichterte es sie auch. Sie erzählte von dem Gespräch, das sie letztes Jahr auf Sergios Geburtstagsfeier belauscht hatte,sie erzählte von dem Attentat, das sie miterlebt hatte, von dem Lagerhaus in Brooklyn und von ihrem Verdacht, dass Sergio und Levy mit ihren Informationen geheime Geschäfte tätigten. Dann berichtete sie von dem, was sie über die geheimen Schmiergeldkonten auf Grand Cayman erfahren hatte. Die beiden Männer lauschten ihr mit wachsender Fassungslosigkeit. Nick saß vorgebeugt da, die Ellbogen auf die Knie gestützt und starrte sie an.
»Was
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