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Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien

Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien

Titel: Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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feuern, schließlich war er der Mann fürs Grobe. Außerdem wusste er zu viel. Aber trotz allem war auch sie ein immens wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil der ausgeklügelten Schwarzgeld-Beschaffungs-Methode, deshalb würden Sergio und Levy nicht zulassen, dass sie LMI verließ. Sergios erneuter Heiratsantrag am gestrigen Abend war möglicherweise zu einem Teil ernst gemeint, aber Alex war sicher, dass er sie damit in erster Linie an sich und LMI binden wollte. Es wäre gelogen, wenn sie behauptet hätte, sie würde sich nicht vor Sergio fürchten. Sie hatte Angst vor ihm. Alex seufzte und schloss die Augen. Gestern Nacht hatte sie sich dazu entschlossen, Nick Kostidis anzurufen. Sie musste mit ihm sprechen. Er war der Einzige, der ihr sagen konnte, was sie mit dem,was sie erfahren hatte, anfangen sollte.Von einer Telefonzelle aus wählte sie die Nummer, die Nick ihr einmal gegeben hatte. Ein Mann namens Frank Cohen meldete sich.
    »Hier spricht Alex Sontheim«, sagte sie. »Ich muss Mr Kostidis sprechen. Es ist wichtig.«
    »Mr Kostidis ist im Augenblick nicht zu erreichen«, erwiderte der Mann.
    »Ich war im Juli in Gracie Mansion zu Gast. Mr Kostidis kennt mich.«
    Frank Cohen zögerte.
    »Hören Sie«, sagte Alex eindringlich, »ich weiß, dass ich keinen guten Zeitpunkt gewählt habe, aber ich kann helfen, die Hintergründe dieses Attentats aufzuklären.«
    »Mr Kostidis ist im Moment noch nicht in der Lage, darüber zu sprechen. Das werden Sie doch sicherlich verstehen.«
    »Natürlich«, erwiderte Alex, »trotzdem. Wann kann ich mit ihm sprechen?«
    »Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Tut mir leid. Versuchen Sie es in ein paar Wochen noch einmal in seinem Büro.«
    In ein paar Wochen! Der Kerl machte wohl Witze! Alex bedankte sich und hängte ein. Sie erinnerte sich, gelesen zu haben, dass Nicks Familie auf dem Friedhof des Klosters St. Ignatius in Brooklyn beigesetzt worden waren. Für heute war es zu spät, aber sie nahm sich vor, am nächsten Vormittag dorthin zu fahren. Vielleicht hatte sie Glück und würde Nick dort antreffen.
    ***
    Der Friedhof des Klosters St. Ignatius war alt, für New Yorker Verhältnisse beinahe mittelalterlich. Mit den hohen, alten Bäumen und der efeuüberwucherten Mauer, die ihn umgab, wirkte er wie eine Filmkulisse aus einem Historienfilm. Alex war mit einem Taxi von Manhattan nach Brooklyn gefahren, wobei sie immer wieder aus dem Rückfenster geblickt hatte, aber ihr Verfolgungswahn schien unbegründet zu sein. Die Luft war Anfang Oktober kühl, der dichte Nebel, der vom Meer herüberzog, machte den Friedhof noch düsterer und unheimlicher, als er ohnehin schon war. Alex ging langsam die Reihen der Gräber entlang. Unkraut wuchs in den Rissen der geäderten Steinplatten, die nach einem Jahrhundert Hitze und Frost an vielen Stellen aufgewölbt und gebrochen waren. Sie kam an Grabsteinen vorbei, deren Schriftzüge von Wind und Wetter verblasst waren, an Marmorengeln, überzogen von Grünspan, die aus blicklosen Augen stoisch in die Ferne starrten. Die Aura der Vergänglichkeit war beklemmend, und doch war dieser Friedhof, diese stille und unwirkliche Oase inmitten der rastlosen Stadt, faszinierend. Alex hatte keine Ahnung, wo sich das Grab von Mary und Christopher Kostidis befand, und außer ihr schien auch niemand auf dem Friedhof zu sein. Ziellos schlenderte sie die Gräberreihen entlang, bis sie Nick Kostidis schließlich erblickte. Er saß auf einer Bank, mit gekrümmtem Rücken und gesenktem Kopf und sah so einsam und unglücklich aus, dass sich ihr Herz vor Mitleid zusammenzog. Wie konnte sie auch nur daran denken, diesen Mann mit ihren Problemen zu belästigen? Hatte sie überhaupt das Recht, ihn in seiner Trauer zu stören? Siekam viel zu spät, um ihm wirklich helfen zu können. Alex zögerte und wollte gerade umkehren, als die Glocken der Kirche zu läuten begannen. Kostidis blickte auf und ihre Blicke trafen sich. Da ging sie auf ihn zu. Ihr Blick fiel auf das Grab und als sie die Namen las, die auf dem granitenen Grabstein eingraviert waren, begriff sie, dass hier, in diesem Grab, Nick Kostidis’ganze Familie lag. Seine Eltern, seine Brüder und nun auch noch seine Frau und sein Sohn. Sie glaubte fast, seinen Schmerz spüren zu können und musste die Tränen unterdrücken, während sie die Hände faltete und das einzige Gebet sprach, an das sie sich aus ihrer Kindheit noch erinnern konnte, das Vater Unser. Wie furchtbar und sinnlos war der Tod dieser beiden

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