Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
lehnte sich erleichtert zurück, als der junge Puertoricaner Gas gab. Hoffentlich hatte Sergio Oliver und Mark nichts angetan! Ihre Gedanken rasten, während das Taxi in südlicher Richtung durch das nächtliche Manhattan fuhr. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass Zack so dumm gewesen war und einen derart riesigen Haufen Aktien gekauft hatte. Selbst wenn der Deal zustande gekommen wäre, hätte das unweigerlich die Neugier der Börsenaufsicht geweckt. Doch da fiel ihr ein, dass Sergio auch Beamte der SEC und Vorstandsmitglieder der NYSE auf seiner Schmiergeldliste hatte. Wahrscheinlich wäre also überhaupt nichts passiert. Eine Viertelstunde später hatte sie das Haus erreicht, in dem sich Zacks Penthouse befand. Sie bat den Taxifahrer zu warten, ging zum Haus und klingelte, aber nichts regte sich. Nach fünf weiteren Versuchen setzte sie sich wieder ins Taxi und ließ sich in den Finanzdistrikt fahren. Vielleicht war Zack noch im Büro. Alex verzog das Gesicht. Sie wusste nicht recht, was sie ihm sagen sollte, aber sie konnte auf gar keinen Fall darauf warten, dass man sie und Zack morgen früh den Wölfen zum Fraß vorwarf, denn genau das würde geschehen. Vielleicht ließZack sich davon überzeugen, dass es an der Zeit war, gemeinsam etwas gegen Levy und Sergio zu unternehmen. Alex war klar, dass die beiden Männer nicht davor zurückscheuen würden, sie und Zack zu opfern, und das wollte sie verhindern. Sie verließ das Taxi am Broadway Ecke Wall Street und ging die Straße entlang, bis sie vor dem LMI-Building stand. Der Haupteingang war um diese Uhrzeit nicht geöffnet, und sie zögerte, ihre Plastikkarte zu benutzen, denn sie wusste, dass jede Benutzung der Karte im Zentralcomputer registriert wurde. Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war mittlerweile kurz nach halb drei, sie konnte nicht länger warten. Mit ihrer Plastikkarte öffnete sie die Tür des Lieferanteneingangs und blieb hinter der Tür stehen, denn der Nachtportier ging gerade im Schlenderschritt zu den Toiletten. Ungesehen schlüpfte Alex in die Halle und erreichte das Treppenhaus, dessen Tür offen stand. Den Aufzug konnte sie nicht benutzen, denn dann wäre der Sicherheitsdienst sofort auf sie aufmerksam geworden. Sie beglückwünschte sich zu ihrer guten Kondition, allerdings musste sie im 10. und im 14. Stock Pause machen, weil ihr die Puste ausging. Sie zitterte vor Aufregung, als sie die Feuerschutztür öffnete, die vom Treppenhaus in die Vorstandsetage führte. Zacks Büro war das vierte auf der linken Seite, ein schmaler Streifen Licht fiel durch den Türspalt auf den Flur. Er war also tatsächlich noch da. Alex holte tief Luft, aber dann klopfte sie an und betrat das Büro. Das, was sie im dämmerigen Schein der Schreibtischlampe erblickte, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Am liebsten wäre sie weggelaufen und hätte laut geschrien, aber sie stand wie versteinert da, unfähig, die Augen abzuwenden.
***
»Verdammt«, fluchte Oliver, »sie geht nicht dran!«
Bereits zum zehnten Mal hatte sich nur Alex’ Mailbox gemeldet.
»Wir müssen irgendetwas unternehmen«, er rieb sich seinen schmerzenden Arm und dachte verzweifelt nach, wie und wo er Alex finden konnte, um sie von der Ungeheuerlichkeit dessen, was Justin herausgefunden hatte, in Kenntnis zu setzen. Morgenfrüh war MPM pleite, die Presse würde sich sofort darauf stürzen, wenn bekannt wurde, dass der Managing Director und die M&A-Chefin von LMI gemeinsam eine Firma betrieben und mit Insiderinformationen gewaltige Gewinne gemacht hatten. Alex war erledigt, denn selbst wenn irgendwann vor Gericht herauskommen würde, dass sie mit MPM nichts zu tun hatte, wäre ihr Ruf an der Wall Street ein für alle Mal ruiniert. Olivers erste und hoffentlich letzte persönliche Begegnung mit Sergio Vitali hatte ihn in allem bestätigt, was er je über diesen Mann in Erfahrung gebracht hatte. Noch jetzt schauderte ihn bei der Erinnerung an die eisige Kälte in dessen blauen Augen.
»Du kriegst die Tür nie und nimmer auf«, sagte Mark mutlos. »Sie geht nach innen auf.«
Oliver durchwühlte schon die Schubladen des Badezimmerschrankes auf der Suche nach irgendeinem Gegenstand, mit dem er die Scharniere der Tür aufschrauben konnte. Es war ihm egal, ob etwas kaputtging. Er musste Alex warnen. Auf der Stelle.
***
Zack hing tot im Sessel hinter seinem Schreibtisch. Sein Anblick war zweifellos das Grauenhafteste, das Alex jemals gesehen hatte. Ihm fehlte das halbe Gesicht,
Weitere Kostenlose Bücher