Unter Haien - Neuhaus, N: Unter Haien
wollten, das Genick gebrochen. Allmählich begriff Alex die Zusammenhänge und sie erkannte glasklar, was geschehen war. Ihr wurde eiskalt, als sie begriff, was das bedeutete. Zack hatte sich mitnichten vor Verzweiflung erschossen, auch wenn es so aussehen sollte. Ein Mann, der derart ausgeklügelte Pläne für seine Zukunft machte, hielt sich nicht eine .38er an den Kopf und erschoss sich. In ein paar Stunden wäre Zack verschwunden gewesen, mit 50 Millionen Dollar. Er hätte 100 Millionen Dollar Schulden und eineruinierte Investmentfirma zurückgelassen und gleichzeitig mit seinem schriftlichen Geständnis bei der Staatsanwaltschaft von New York einen gewaltigen Wirbel ausgelöst. Aber jemand hatte die Umsetzung dieses Planes verhindert, jemand, dem ein Menschenleben nicht viel bedeutete. Alex zweifelte keine Sekunde daran, dass es Sergio war, der sich ein weiteres Mal eines unangenehmen und gefährlichen Mitwissers entledigt und das als Selbstmord getarnt hatte. Das war schlau, denn es war durchaus glaubhaft, dass ein Mann in Zacks Situation den Tod sympathischer fand als das Gefängnis. Plötzlich wurde Alex bewusst, dass sie noch immer neben einer Leiche stand. Mit zitternden Fingern raffte sie die Blätter zusammen, die der Drucker ausgespuckt hatte. Einer Eingebung folgend markierte sie alle E-Mails und verschob sie in den Papierkorb, dann klickte sie den Papierkorb an und leerte ihn. Ihr Herz klopfte wie rasend. Wenn Sergio erfuhr, dass sie die Wahrheit kannte, war sie genauso tot wie Zack. Als sie sich umdrehte, berührte sie den Drehstuhl, auf dem Zacks Leiche hing. Vor Schreck glitten ihr die Blätter aus der Hand. Sie bückte sich, um sie aufzuheben. Unter dem Rollcontainer berührte sie einen Gegenstand. Sie kniete sich auf den mit Blutspritzern übersäten Boden und ergriff ein Handy. Rasch schob sie es in die Innentasche ihrer Jacke und verließ das Büro so schnell sie konnte. Sie eilte den Flur entlang und hatte schon fast die Feuerschutztür zum Treppenhaus erreicht, als sie das Rauschen des Aufzugs im Aufzugschacht hörte. Das rote Lämpchen neben der Aufzugtür flammte auf. Jemand kam nach oben! Alex brach der Angstschweiß aus. Voller Panik blickte sie sich um, dann öffnete sie die Tür der Damentoilette und schlüpfte mit klopfendem Herzen hinein. Durch einen kleinen Spalt beobachtete sie, wer aus dem Aufzug trat, und sie glaubte, ihr müsse das Herz stehen bleiben, als sie Sergio und Henry Monaghan, den Sicherheitschef von LMI, erkannte.
***
»Der Computer ist an«, stellte Henry Monaghan fest.
»Dann haben meine Leute vergessen, ihn auszuschalten«, erwiderte Sergio.
»Ja, das haben sie offensichtlich. Aber ...«, Monaghan schüttelte den Kopf, »der Bildschirm ist an und der Drucker ist noch warm. Es kann nicht länger als eine Viertelstunde her sein, dass jemand mit dem Ding gearbeitet hat, sonst hätte sich der Bildschirmschoner eingeschaltet oder der Rechner wäre in den Sleep-Modus gegangen.«
Sergio sah dem untersetzten Mann mit dem buschigen Seehundschnauzbart mit versteinerter Miene zu, wie er die Maus hin und her schob und grimmig auf den Bildschirm starrte.
»Dieser jemand hat alle E-Mails gelöscht«, verkündete er nach einer Weile. »Es ist nichts mehr da.«
Der Grund, weshalb die beiden Männer um vier Uhr morgens riskierten, bei der bisher unentdeckten Leiche von St. John überrascht zu werden, war eine Nachricht auf St. John’s privatem Anrufbeantworter. Ein Rechtsanwalt namens John Sturgess hatte die Mitteilung hinterlassen, dass er die Aussage wie vereinbart protokolliert und per E-Mail zu Zack ins Büro geschickt hatte. Vielleicht war es unwichtig, vielleicht aber auch nicht. Der Anruf aus Kalifornien war um halb elf gekommen, nachdem Zack von Sergio erfahren hatte, dass er und Alex Inhaber von MPM geworden waren. Gegen Viertel nach elf war Zack gestorben und niemand wusste, was er in dieser Dreiviertelstunde in seinem Büro getan hatte. Das Wort ›Aussage‹ hatte sich für Monaghan bedrohlich angehört und Sergio war ganz seiner Meinung. Hatte Zack den Anwalt angerufen und ihm etwas über seine unerfreuliche Situation erzählt? Und nun schien es ganz so, als ob die E-Mail von John Sturgess in die Hände eines Unbekannten geraten sei. Monaghan schaltete den Computer ab.
»Wir wissen gleich, wer hier drin war«, sagte er, »wir müssen uns nur die Bänder der Überwachungskameras ansehen. Vielleicht ist derjenige noch im Gebäude und wir können ihn schnappen,
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