Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter Menschen

Unter Menschen

Titel: Unter Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
Vom Netzwerk:
doch anders, als du denkst.“
    „Meinst du damit etwas Bestimmtes?“, fragte George.
    „Ja, aber das kann ich nicht sagen“, sagte Sam. „Ich habe Angst, es zu sagen.“
    „Okay. Vielleicht kannst du es eines Tages. Aber was immer es ist, Sam, ich werde dich deshalb nicht wegschicken“, sagte George. Sam antwortete nicht.
     
     
    „Jerry? Hier George.“ George klemmte sich den Hörer ans Ohr.
    „Schieß los, Mann. Bin schon echt gespannt“, sagte Jerry am anderen Ende der Leitung.
    „Ich sag’s nicht gern, aber er wollte mich im Wasser angreifen.“
    „Aha“, sagte Jerry. „So wie er’s uns damals beschrieben hat?“
    „Japp. Ich denke, er kommt jetzt in die Pubertät oder so was. Er wird vielleicht im Meer territorialer, angriffslustiger. Ich vermute, in dem Alter verlassen sie ihre Familien und erobern sich ein eigenes Revier, bekämpfen Rivalen oder Ähnliches.“ George schaute in seine Notizen.
    „Ist er bei dir zu Hause auch so?“, fragte Jerry.
    „Nein, alles beim Alten. Er tut, was man ihm sagt. Er vergöttert mich geradezu. Ich weiß, dass das nicht gut ist, aber aktuell muss ich es so hinnehmen. Vielleicht ist sein Bedürfnis nach Zuneigung irgendwann so gestillt, dass er alleine zurechtkommt.“
    „Oder auch nicht. Vielleicht musst du das Muster auch durchbrechen. So schnell kriegt er nicht genug von dir. Was ist denn mit Liz? Kannst du ihn nicht auf sie abschieben? Das tut ihm vielleicht ganz gut.“
    „Hm“, sagte George. „Ich fürchte, das wird kurzfristig nicht viel bringen. Sie kann die Vaterrolle nicht erfüllen.“
    „Was du nicht sagst“, bemerkte Jerry. „Jedenfalls kannst du diesen Reigen nicht ewig weitertanzen. Er wird sich immer wieder erschrecken und du wirst ihn ständig wieder aufbauen müssen.“
    „Korrekt. Aber irgendwann wird er das Leben hier verstanden haben und es meistern können. Und dann ist er wirklich frei zu entscheiden, wohin er gehen will.“
    „Und wenn er das entscheidet, kommst du dann damit klar?“, fragte Jerry. Es entstand eine Pause.
    „Du kennst mich wirklich gut“, sagte George schließlich.
    „Ich weiß. Gibt’s sonst noch was Neues?“
    George blätterte in seinen Notizen.
    „Ein paar Sachen gibt es. Erst einmal wollte ich noch deine Meinung hören zu Sams Kommunikation. Er macht diese Sirrgeräusche auch dann, wenn er ganz allein ist. Aber wenn das seine Sprache ist, sind das dann Selbstgespräche? Warum sirrt er vor sich hin? Ich mache mir nur Sorgen, ob das ein Zeichen von Einsamkeit oder Überforderung ist.“
    „Ich glaube, da machst du dir zu viele Gedanken. Katzen schnurren ja auch bei jeder Gelegenheit. Es könnte so was Ähnliches sein. Wahrscheinlich beruhigt ihn das Geräusch oder er drückt seine Gefühle darüber aus. Lass ihn einfach sirren, so viel er will.“
    George fühlte Dankbarkeit für Jerrys Art, ihm seine Sorgen zu nehmen.
    „Dann noch was. Heute hat er ein anderes Geräusch gemacht, das mir unerträglich war. Mir wurde fast schwarz vor Augen. So was hab ich in meinem Leben noch nicht gehört. Das wäre ein wichtiger Punkt, um den ich mich kümmern muss ... und er zieht Kreise im Wasser, bevor er angreift. Zumindest hat er das heute getan. Außerdem hat er was angedeutet. Es gibt etwas, was er nicht sagen will.“
    „Okay“, sagte Jerry. „Aber ich hab das Gefühl, er will ne Menge nicht sagen. Hast du ihn mal eingehend befragt, wie das so im tiefen Meer abgeht? Was ist mit seiner Mutter? Wie und wo hat er gelebt? Da könnten doch wichtige Infos dabei sein. Vor allem frag ich mich, warum Sam an Land geht und andere nicht. So weit er das erzählt hat, lebte sein Vater auch nur im Wasser oder fast nur, während sein Onkel in Kneipen rumhängt und säuft. Was hat ihn als Jungen dazu gebracht, zu den Menschen zu gehen? Und wie viele von denen leben noch unter uns?“
    „Ein wenig konnte ich mit ihm darüber sprechen. Sam sagt, er und sein Onkel sind die Einzigen, die an Land gehen.“
    „Und sagt er auch, warum?“
    „Er sagt, die anderen können das nicht. Und dann schweigt er dazu. Ich könnte mir vorstellen, dass es in seinem Volk einem Verrat gleichkommt, wenn man darüber redet. Was meinst du, was los wäre, wenn jeder von denen das ausplaudern würde. Bestimmt konnten sie nur so überleben. Durch Schweigen.“
    „Aber warum können sie es nicht? Was hat Sam, was die anderen nicht haben, was spricht dagegen?“
    „Echt ne gute Frage. Ich kann mir nicht vorstellen, was das sein

Weitere Kostenlose Bücher