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Unter Menschen

Unter Menschen

Titel: Unter Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabell Schmitt-Egner
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älter wirst. Der Instinkt wird vielleicht stärker und du wirst aggressiver. Schau dir deinen Onkel an“, gab George zu bedenken.
    „Ich will nicht aggressiv werden!“ Sam begann wieder, sich aufzuregen.
    „Ruhig, Sam. Wir werden das beide üben, damit du dich kontrollieren kannst. Ich helfe dir dabei. Ich verspreche es.“ George legte seine Hand auf Sams, die sich fest um den Bootsrand geschlossen hatte.
    „Was war das denn für ein helles Geräusch, das du da vorhin gemacht hast? Das kenne ich gar nicht von dir“, fragte George.
    Sam senkte den Kopf. „Ich tu’s nie wieder. Versprochen.“
    „Was war das, warum hast du das früher nie gemacht?“, fragte George weiter.
    „Weil ich es früher nicht so konnte“, sagte Sam. „Ich wusste selbst nicht, dass ich es schon kann. Jetzt wo ich es weiß, werde ich das Geräusch nicht mehr machen.“
    George sah ihn nachdenklich an und entschied, es fürs Erste dabei bewenden zu lassen. Aber das Thema war noch nicht vom Tisch. Er würde mit Jerry darüber sprechen.
    „Weißt du, was? Du könntest mir noch ein paar schöne Muscheln suchen für mein Arbeitszimmer. Da hab ich noch keine.“
    Sams Gesicht leuchtete auf und George sah, wie er die Schwanzflosse schneller bewegte.
    „Jetzt gleich?“, fragte Sam.
    „Ich bitte darum“, lächelte George. Ein Wasserspritzen – und Sam war verschwunden.
    George atmete aus. Es würde Sam guttun, wenn er einen Auftrag ausführen konnte.
    Und er selbst hatte Zeit, nachzudenken.
     „Sehr schön“, lobte George, als Sam ihm ein weiteres Fundstück reichte. Das Muschelsuchen hatte ihm gut getan und George sparte nicht mit Lob. George legte die letzte Muschel ins Boot.
    „Sam, wir müssen zum Ufer zurück fahren. Es ist schon spät.“
    „Darf ich dich ziehen?“, fragte Sam. George warf ihm die Leine zu und Sam schoss los.
    George wäre fast hingefallen, als das kleine Boot einen Satz nach vorne machte. Er hoffte, dass niemand sah, wie das Boot ohne Paddel und Motor durchs Wasser pflügte.
    Sam tauchte auf und lachte ihn an.
    „Ziehe ich dich schnell genug?“, fragte er, ohne das Tempo zu drosseln.
    „Absolut“, sagte George.
    „Dann bist du jetzt ein Ziehvater!“, lachte Sam.
    George vertäute das kleine Boot und kletterte auf den Anlegesteg. Sam hatte sich auf den letzten Metern verabschiedet, weil inzwischen andere Leute ebenfalls an ihren Booten hantierten. Er würde sich verwandeln und George dann am Ufer ein paar hundert Meter weiter treffen. George trug seine Sporttasche zu Auto zurück und stieg ein. So bald er zu Hause war, würde er Jerry anrufen. Sam wurde anscheinend erwachsen und seine Natur kam mehr und mehr zum Vorschein. George war sich nicht sicher, ob er dagegen anerziehen konnte und sollte. Man konnte aus Sam keinen Durchschnitts-Menschen machen. Das größte Problem war, dass er nicht wusste, welche von Sams Entscheidungen vom tatsächlichen Willen und welche von traumatischen Verhaltensmustern gesteuert wurden. Um bei seinem Ersatzvater zu leben, würde Sam alles tun und alles opfern. George seufzte. Sam war in der Tat sein schwierigster Fall.
    George fuhr langsam die Straße entlang, bis zu der vereinbarten Stelle. Dann hielt er an und nahm Sams Kleider und ein Handtuch an sich.
    Sam schlüpfte in sein T-Shirt. Dann sah er George an. „Fertig“, sagte er und George registrierte den wieder leicht unterwürfigen Ton in seiner Stimme.
    „Würdest du lieber doch über Nacht im Meer bleiben?“, fragte George ihn vorsichtig.
    Sofort trat ein ängstlicher Ausdruck in Sams Gesicht.
    „Du bist doch wütend auf mich“, sagte er traurig.
    „Nein, überhaupt nicht. Aber ich habe den Eindruck, dass du dich im Wasser wohler fühlst als an Land“, sagte George.
    „Ich fühle mich wohl im Wasser, aber ich … ich kann es ohne dich nicht mehr aushalten. Ich verstehe das Gefühl nicht, aber ich kann nicht mehr alleine leben.“ Sam wischte sich die Augen. „Bitte schick mich nicht fort. Bitte. Ich werde auch alles tun, was du willst.“
    George schüttelte den Kopf und nahm Sam in die Arme.
    „Was kann ich nur tun, damit du mir endlich vertraust, Sam. Was kann ich nur tun?“
    „Ich vertraue dir ... aber ich ... ich habe immer Angst, dass du irgendwann für immer weggehst. Oder mich fortschickst.“ Sam schmiegte sich an ihn und George hielt ihn fest.
     „Ich werde nicht weggehen“, sagte George. „Und warum sollte ich dich fortschicken?“
    „Weil ...“ Sam seufzte. „Vielleicht bin ich ja

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