Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
Praterhauptallee. Zum Schluss unseres Gesprächs hat mich Vesna noch so richtig aufgeheitert: „Wenn du siehst, was da alles lauft herum im Prater, du weißt, du fallst gar nicht auf.“
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Schon eigenartig, wie viele Expolitiker im Umfeld von Energieunternehmen zu finden sind. Ein ehemaliger deutscher Bundeskanzler liebäugelt mit dem russischen Gasriesen, ein früherer deutscher Vizekanzler unterstützt den Bau einer Pipeline, die Russland umgeht. Ein französischer Exminister kümmert sich darum, dass Atomstrom in seinem Land weiterhin als sauber und billig gilt. Und kaum ein Ex auch in Österreich, der nicht in irgendwelchen einschlägigen Aufsichtsräten sitzt. Da ist Geld. Da ist Macht. Das hat wohl auch Heinrich Gruber angelockt. Kurzfristig Vizekanzler. Jetzt ist er „Chefberater“ bei „Pure Energy“, diesem internationalen Konsortium, das offenbar vor allem in der Vermittlung von Öl- und Gaslieferungen arbeitet, das aber auch an transnationalen Netzen, an Ölgesellschaften und an Firmen, die auf erneuerbare Energie setzen, beteiligt ist. Hat mir Carmen gestern am späten Abend am Telefon erzählt. Sie stellen sich als die neuen großen europäischen Energiefachleute dar. Zumindest wenn man ihrer Homepage trauen will.
Ansonsten hat Carmen bloß gemeint, dass „Pure Energy“ eher unübersichtlich sei, kein Betrieb, in dem sie alt werden möchte, aber ein guter Platz für ein Praktikum.
Und auf meinen dezenten Hinweis, dass Oskar sich offenbar Sorgen um sie mache, hat sie lachend gemeint: Er sei einfach „süß“, aber manchmal ein wenig übereifrig und könne nicht immer begreifen, dass sie mit Ende zwanzig ihr eigenes Leben habe.
So besitzergreifend habe ich Oskar eigentlich gar nie erlebt. – Oder doch? Wie war es, als ich mehr über zwei dubiose Männer aus El Salvador wissen wollte? Er hatte einfach Angst um mich. – „Und was, wenn er Angst um dich hat?“, habe ich Carmen gefragt.
„Die braucht er nicht zu haben. Ich kann ganz gut selbst auf mich aufpassen.“
Wer sagt das in ähnlichen Fällen immer? Hm. Ich. Kann sein, dass Carmen und ich doch einiges gemeinsam haben. Verwandt sind wir jedenfalls nicht. Und woran liegt es, dass ich Oskars Tochter trotzdem nicht ganz glaube? Kann sie wirklich selbst auf sich aufpassen?
„Rede mit Gruber“, hat sie das Gespräch in andere Bahnen gelenkt. „Ich hab ihn kürzlich bei einem Abendessen getroffen, er ist ein ziemlicher Wichtigtuer, aber er kennt viele Leute.“
„Bei einem Abendessen? Ist wohl ein ziemlich gutes Praktikum, wenn man bei einem Abendessen mit dem Chefberater des Unternehmens dabei ist.“
„Hat sich so ergeben“, hat ihre kurze Antwort gelautet.
Wenn sie nicht mehr erzählen will, muss sie nicht.
Leider ist es deutlich schwieriger, zu Gruber vorzudringen als zur Sprecherin von „PRO!“. Eine Sekretärin verbindet mich zu einer Assistentin und die mich wieder zu einem Mitarbeiter der Öffentlichkeitsabteilung und der lässt ausrichten, dass ich doch eine E-Mail mit meinem genauen Anliegen schicken solle. Wenn es um allgemeine Informationen über „Pure Energy“ gehe, werde er mir gerne weiterhelfen. Außerdem könne er mir natürlich die Informationsbroschüre und die Pressekonferenzunterlagen der letzten Monate zuschicken. Sieh an, dort setzt man offenbar noch auf Gedrucktes.
Mir tun nicht nur meine Ober- und meine Unterschenkel weh, ich habe auch in den Armen einen Muskelkater. Vesna hat mich gestern durch den Prater gehetzt, bis ich nicht mehr konnte. Dabei ist sie immer wieder ein Stück vorgelaufen, dann wieder zurück zu mir, um mich herum, hat mich angetrieben. „Bist etwas langsam für mich – noch“, hat sie ohne das geringste Keuchen angemerkt. Schon ein eigenartiges Gefühl, von ihr wie von einem aufmerksamen Hirtenhund umkreist zu werden. Als Schaf wäre ich genervt.
Über Facebook wurde ich heute früh gefragt, ob ich mit „PRO!“ befreundet sein möchte. Ich weiß nicht. Spräche wohl nicht eben für meine Objektivität den Ökoenergieleuten gegenüber. Andererseits: Facebook-Freundschaften gehören inzwischen zu den Recherchemethoden. Auch wenn ich diesem Network sonst nicht viel abgewinnen kann. Da werden einige saureich, weil sie die Daten von Millionen Usern verknüpfen und verkaufen. Und: Warum soll ich wissen wollen, wann irgendjemand, den ich kaum kenne, gestern eine Sternschnuppe gesehen hat? Und interessiert es mich wirklich, was Susi D., die wohl versehentlich auf meiner
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