Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
bei Konzepten zur innerbetrieblichen europäischen Informationsvernetzung mit. Eine sehr enge Beziehung scheinen Sie zu ihr nicht zu haben.“
Ich habe mich wieder gefangen und lächle. „Sie hat eben momentan sehr viel zu tun. – Und ihr Freund …“, lasse ich einen Testballon steigen.
Gruber lächelt. „Dann wissen Sie ja doch Bescheid, woher wir uns kennen. Natürlich ist er um einiges älter als sie, aber er ist ein wirklich interessanter Mann. Wobei, im Vertrauen gesagt, man weiß natürlich nie, wer bei solchen Beziehungen profitiert: er, weil er eine junge attraktive Begleiterin hat, oder sie, weil er ihr viele Türen öffnen kann. – Mögen sie beide etwas davon haben!“ Er hebt sein Glas und lacht eine Spur dreckig.
Wer ist Carmens Freund? Oskar wird gar keine Freude haben, wenn ich ihm davon erzähle. Offenbar jemand aus dem Management von „Pure Energy“. – Was hat sie zu mir am Telefon gesagt? Dass sie in dieser Firma sicher nicht alt werden würde. Aber dass es ein nettes Praktikum sei. Warum ein Techtelmechtel mit einem der Bosse?
Gruber trinkt schon das dritte Glas Pinot Grigio. Ich packe mein Aufnahmegerät aus. Besser, wir kommen zu unserem Interview. Aber an der Sache mit Carmens Freund werde ich dranbleiben. Der „Pure Energy“-Berater überreicht mir gut ein halbes Kilo Prospektmaterial. Die Vorspeise war hervorragend, Gruber hat jetzt als Zwischengang Risotto mit Amarone vor sich stehen. Ich würde es sehr gerne kosten. Aber das wäre zu viel der Vertraulichkeit. Geht einfach nicht. Es tut mir schon leid, dass ich beim Bestellen so zurückhaltend war. Gruber erzählt mir zwischen den Bissen einiges über die Ziele von „Pure Energy“: Man müsse global denken, Europa brauche einen vernünftigen Mix an Energieformen. Sein Unternehmen sei die allererste Adresse dafür, habe über unseren Kontinent hinaus die besten Kontakte, um langfristige und haltbare Lieferverträge zu vermitteln. Außerdem habe man genug Kapital, um in die europäischen Leitungsnetze zu investieren.
„Und was, wenn Russland wieder einmal den Gashahn zudreht? Dann helfen die schönsten Leitungen nichts“, sage ich und starre auf das Risotto, das immer weniger wird.
Er beugt sich etwas vor. Ich kann sehen, dass sich in seinem rechten Mundwinkel zwei Reiskörner verfangen haben. „Wir haben ausgezeichnete Kontakte zu den Russen, so viel kann ich Ihnen versichern. Permanente Geschäftsbeziehungen, sozusagen. Wenn wir uns um die Lieferungen kümmern, dann funktionieren sie.“
Kann stimmen, kann auch nicht stimmen. Kaum möglich, dass ich Putin anrufe und danach frage. „‚PRO!‘ fordert, dass die Energieversorgung in die einzelnen Regionen verlagert wird“, führe ich unser Gespräch weiter.
Er lacht. Die beiden Reiskörner purzeln auf die weiße Tischdecke. „Ich bin sehr für Ökologie. Schon in der Regierung habe ich mich für die Umwelt eingesetzt. Das können Sie nachprüfen. Aber wir müssen realistisch bleiben: Wir brauchen globale Lösungen für globale Herausforderungen. Kleines Flickwerk ist zu schwach, um ihnen gewachsen zu sein. Und wenn es um Ökoenergie geht: Wir werden uns sowohl an den geplanten Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee als auch an den Solarfabriken in Nordafrika beteiligen. Wir brauchen in Zukunft einfach den richtigen Technologie-Mix. Was ist, wenn kein Wind weht? Wollen die Menschen dann im Dunkeln sitzen? Wir brauchen Systeme, die verlässlich Energie liefern, egal, was bei uns für ein Wetter ist.“ Er nimmt die letzte Gabel Risotto, winkt einem Ober, der schenkt ihm wortlos noch ein Glas Pinot Grigio ein. „Auch ein Gläschen?“, fragt mich Gruber jovial.
Ich schüttle den Kopf.
„Außerdem“, fährt er fort, „brauchen wir Öl für die chemische Industrie und für Treibstoff, daran wird sich so schnell nichts ändern. Ich will umweltbewusste Menschen nicht als Spinner hinstellen, aber wir müssen schon daran denken, was unsere Konsumenten möchten. Wer will schon zurück in die Höhlen der Steinzeit?“
„Und Atomkraft?“
Gruber nimmt einen großen Schluck, wirkt, als ob er husten müsste, fängt sich und lächelt strahlend: „Lehnen wir selbstverständlich ab.“
„In Frankreich sagt ‚Pure Energy‘ etwas anderes“, kontere ich. Heute bin ich ganz gut vorbereitet.
Ein milder Blick, so als ob eine Lieblingsschülerin etwas Ungezogenes gesagt hätte. „In Frankreich ist auch die Situation anders. Wenn man da von heute auf morgen alle
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