Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
ist zu konkret. So weit sind wir noch nicht. Es wäre natürlich im Sinn der Energiesicherheit Österreichs von Vorteil, wir haben auch das notwendige Kapital, den nötigen internationalen Rückhalt, das Leitungsnetz nicht nur besser zu überwachen, sondern es auch auszubauen, außerdem könnten wir es dann besser mit Deutschland vernetzen, aber momentan geht es um etwas anderes: Wir müssen die fassen, die für den gestrigen Anschlag verantwortlich sind.“
„Sie melden sich bei mir, wenn Sie konkrete Hinweise haben?“
„Selbstverständlich. Und ich gebe Ihnen einen Tipp: Sie haben ja ohnehin schon Kontakt zu ‚PRO!‘. Sehen Sie dort einmal genauer nach.“
„Im ‚Fabios‘ haben Sie noch gesagt, die seien harmlos.“
„Dazu stehe ich. Natürlich. Ich bin ja selbst sehr für saubere Energie. Aber: Einzelne Mitarbeiter könnten schmutzig sein, wenn Sie verstehen, was ich meine …“ Er blickt auf die Uhr, es ist ein ganz flaches, edel aussehendes Stück aus glänzend schwarzem Material. „Es ist höchste Zeit! – Und: Einen schönen Wochenbeginn wünsche ich!“
Da eilt Götterbote Gruber davon. Für einen Moment überlege ich, ihm unbemerkt nachzuschleichen und zu schauen, ob und wo ein Auto auf ihn wartet. Aber dann wird mir klar, dass es für mich heute wohl Wichtigeres geben dürfte. Ich stoße die gläserne Eingangstür auf und stehe im Foyer.
Am Montagvormittag ist das Großraumbüro der Redaktion nie voll besetzt. Einige verlängern das Wochenende, der Redaktionsschluss ist ja noch angenehm weit entfernt, andere sind auf Recherche unterwegs. Ich gehe zur „Dschungelecke“, wie alle meinen nahezu abgetrennten Arbeitsbereich nennen. Zwei riesige Philodendren bewahren mich vor Lärm und neugierigen Blicken. Ich schiebe einige Blätter zur Seite und bin an meinem Schreibtisch. Wenn auch nur etwas von dem stimmt, was Gruber sagt, dann sollte ich mich dringend mit Generalleutnant Unterberger treffen. Im nächsten Teil der Energie-Serie werde ich nicht nur über Sonnendorf berichten, sondern auch über mögliche Terroranschläge auf unsere Energieversorgung. Mal sehen, wie viel er mir offiziell erzählt. Und ich muss aufpassen, dass ich dabei nicht auf eine Bundesheerkampagne hineinfalle. Motto: Wir brauchen ein Feindbild, und da das nicht die umliegenden Staaten sein können, warnen wir vor Terroristen. Das Bundesheer ist wichtig, weil es uns vor solchen Angriffen beschützt.
Regina hat ihre gestrigen Fotos schon auf einen Stick gespielt und ihn neben meinen Laptop gelegt. Ohne die explodierte Leitung wäre es eine ungetrübt fröhliche Reportage über ein kleines Dorf mit eigener Energieversorgung geworden. Die paar Windkraftgegner sind eher so etwas wie skurriles Beiwerk. Don Quichotte und Sancho Pansa von Sonnendorf im Kampf gegen die Windräder. Wobei … da war gestern Abend etwas, dem ich nachgehen sollte. Was war es bloß? Worüber haben wir noch geredet? El Condor Pasa, Sancho Pansa. Du liebe Güte, man sollte nichts ernst nehmen, was da am Abend nach ich weiß nicht wie vielen Vierteln Veltliner zur Sprache gekommen ist. Besser: gelallt wurde. Was war es? Es fällt mir nicht ein. Sinnlos. Zwei Glas Wein auf nüchternen Magen, das war für mich wohl doch zu viel. Ich sehe die Fotos durch. Landeshauptmann, Bürgermeister, dieser Abgeordnete mit dem lächerlichen Stecktuch, Wirtschaftsminister, Ortstafel, Festgäste, Solargriller. Blick vom Kran beim Windrad nach unten. Ein Glück, dass ich nicht mitgefahren bin. Aus sechzig Meter Höhe wirkt die Gemeinde wie ein Spielzeugdorf. – Vielleicht ist sie das auch gewissermaßen. Was für Spiele werden da mit und um Sonnendorf gespielt?
Das Foto ist gestochen scharf. Ich zoome näher und kann mich selbst mit anderen Journalisten bei Tina Bogner stehen sehen. Der Geschäftsführer von „PRO!“, Karl Novak: Jetzt weiß ich es wieder, unsere Gastgeber am Heurigentisch haben sich darüber gewundert, dass er weggefahren ist. Ich zoome noch näher, das Bild löst sich in grobe Körner auf. Wieder ein Stück wegzoomen. Ich suche nach Karl Novak. Er ist nicht eben ein auffälliger Typ, aber ich bin mir sicher: Hier ist er nicht drauf. Wo war er? Ich klicke auf das nächste Bild. Wieder eine Aufnahme von oben, diesmal ist die Kamera auf das neue Ortsschild „Sonnendorf“ gerichtet: der Platz, an dem die offizielle Dorfumbenennung über die Bühne gegangen ist, verwaist. Im Feld daneben ein paar Dutzend Autos. Ein kleiner weißer Wagen fährt auf das
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