Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
aufgetaucht. Und zwar gleich europaweit. Die Zentrale des Unternehmens ist in Zypern, wahrscheinlich nicht nur wegen des guten Wetters. Allzu viele Steuern zahlen die dort nicht. Und Zypern ist von jeher ein Platz, an dem Russen gerne Geschäfte abwickeln. Die größte Niederlassung haben sie allerdings in Frankfurt.“
„Russen?“ Ich streiche mir jetzt doch eine Buttersemmel.
„Sieht so aus, als wäre viel russisches Kapital in der Firma. Übrigens auch chinesisches. Über ‚Goldbreeze‘, eine Firma, die an sich privat ist, an der aber der Staat die meisten Anteile hält. Eine ihrer Subfirmen hat sich übrigens auf die Erzeugung von Windrädern spezialisiert. Wusstest du, dass China inzwischen der weltweit größte Produzent von Windenergie ist?“
„Und woher hast du das alles?“
„Ein wenig kann ich als Wirtschaftsanwalt auch recherchieren. Es ist mir eben nicht egal, wo meine Tochter arbeitet.“
„Sie macht dort bloß ein Praktikum.“
„Das sie bis in die Türkei führt“, ergänzt Vater Oskar.
„Was tut ‚Pure Energy‘ eigentlich?“, versuche ich den Themenschwerpunkt zu verlagern. „Gruber hat gesagt, in erster Linie vermitteln sie Öl- und Gaslieferungen. Aber sie würden sich auch an Offshore-Windparks in der Nord- und Ostsee und an Sonnenenergiekraftwerken in Afrika beteiligen.“
„Das scheint zu stimmen. Ich habe allerdings den Verdacht, dass sie vor allem darauf aus sind, sich bei europäischen Energieversorgern einzukaufen. Viele brauchen seit der Krise frisches Kapital und nehmen lieber neue Partner dazu, als sich über Banken Geld zu besorgen. Der Kreditmarkt ist nach wie vor ganz schön in Unordnung und entsprechend schwer einzuschätzen.“
Ich sehe auf die Uhr. Jetzt ist es wirklich höchste Zeit. Ich klappe die zweite Hälfte meiner Buttersemmel zusammen, ich kann sie auch auf dem Weg zur Redaktion essen. Sobald „Pure Energy“-Manager Hohenfels zurück ist, werde ich mir einen Termin bei ihm geben lassen. Ich küsse Oskar mit Buttermund, nehme meine Tasche und bin schon aus der Tür.
Die gestrigen Abendausgaben der Zeitungen haben nicht viel über die Explosion der Gasleitung gebracht. Natürlich kam die Meldung relativ spät. Aber wenn etwas für wichtig gehalten wird, kann man auch nach dem eigentlichen Radaktionsschluss reagieren. Selbst im „Blatt“ hat man sich auf einen kurzen Bericht beschränkt: Leitung geplatzt, hohe Flamme, Gas abgesperrt, Flamme wieder gelöscht. Keine Hinweise auf eine mögliche Ursache. Es werde ermittelt. Der Redakteur hat auch keinen Zusammenhang mit dem Fest in Sonnendorf hergestellt. Darüber wird auf der ersten Seite des Lokalteils berichtet: ein großes Foto, das den Landeshauptmann zeigt, wie er neben der eben enthüllten Ortstafel steht, dazu ein kurzer Artikel, in dem es mehr um das Dorffest als um sein Energiekonzept geht. Alles gelingt Tina Bogner also doch nicht. Wäre interessant zu wissen, was den deutschen Medien wichtig war. Wenn unsere Fernsehsender etwas gebracht haben, dann war das wahrscheinlich schon gestern Abend. Da war ich beim großen Feuer. Ich gehe rasch Richtung Redaktion und habe das Gefühl, bereits jetzt mehr Kondition zu haben als vor meiner Woche im Weinviertel. Die Buttersemmel steckt in einem Seitenfach meiner Tasche. Tief atmen und gleichzeitig essen funktioniert nicht so gut.
Als ich zur Trafik komme, werde ich langsamer. Was haben die Zeitungen heute auf der ersten Seite? Nein, auch heute hält keine die Explosion für besonders wichtig. Das „Blatt“ titelt: „15 Prozent Preissteigerung bei Lebensmitteln!“ Das interessiert die meisten Menschen wohl wirklich mehr als eine große Flamme in einem abgeernteten Feld. Vorausgesetzt, sie haben Gas und Strom und warmes Wasser.
Ich überquere den Donaukanal, fange die zusammengeklappte Buttersemmel aus der Tasche und beiße hinein. Ich sehe das „Magazin“-Gebäude schon vor mir. Stahl und Glas und auf halber Höhe in Riesenlettern die Aufschrift: „Lesen Sie DAS!“ Noch ein großer Bissen und die Semmel ist weg. Ich kaue und eile auf den Eingang zu.
„Was für ein Zufall!“, höre ich hinter mir und drehe mich überrascht um. Oberberater Heinrich Gruber. Tatsächlich, was für ein Zufall. Und wie dumm, dass ich den Mund mehr als voll habe. Ich kaue rascher und so unauffällig wie möglich. Ich nicke zur Begrüßung, er streckt mir die Hand hin, als wären wir beste Freunde, ich reiche ihm meine, sie wird begeistert geschüttelt. Zeit
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