Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
Tina Bogner vor meinem Schreibtisch. Das ist Rekordzeit für die Strecke vom Empfang bis zu mir. Ich will ihr ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen, deute auf den Stuhl beim Philodendron und frage: „Haben Sie früher Leistungssport betrieben?“
Sie sieht mich verblüfft an. „Warum? Ist das auch verdächtig?“
„Wir sind eine Wochenzeitung. Wir haben noch nichts über den Anschlag geschrieben.“
„Ich war Staatsmeisterin im Wildwasserpaddeln. Aber das ist lange her.“
Ich lächle sie möglichst beruhigend an. „Das können Sie jetzt ja gut brauchen. Schnell durch stürmische Gewässer.“ Ich deute zum zweiten Mal auf meinen Besuchersessel. Es ist eigenartig, zu ihr aufzuschauen.
Endlich. Sie setzt sich. „Tolles Büro haben Sie hier“, sagt sie.
„Ausgesprochen grün“, ergänze ich.
„Es ist eine unglaubliche Sauerei, was da momentan passiert!“, legt sie unvermittelt los. Ich habe den Eindruck, die Blätter meiner Philodendren zittern.
„Wenn Sie nicht wollen, dass alle mithören, dann reden Sie etwas leiser“, versuche ich sie zu beruhigen.
„Ja. Sie haben recht.“ Sie versucht die Lautstärke um ein paar Dezibel zu senken. An Nachdruck verliert ihre Stimme trotzdem nicht. „Es waren großartige Berichte über Sonnendorf in den Medien. Vor allem in Deutschland. Die sind da einfach weiter als wir. Und dann das! Uns den Anschlag in die Schuhe schieben zu wollen! Haben Sie das ‚Blatt‘ gelesen?“
Ich deute darauf. Es liegt noch auf meinem Schreibtisch.
„Es wird in der nächsten Stunde eine Richtigstellung von George Heller aus London geben. Er hat natürlich nicht gesagt, was im ‚Blatt‘ steht.“
„Dann wird Greenpeace das ‚Blatt‘ wohl klagen“, vermute ich.
„Das ist ja das Gemeine! Was er gesagt hat, wurde so aus dem Zusammenhang gerissen, dass es das Gegenteil bedeutet! Die Worte hat er schon gesagt …“
„Warum sind Sie damals aus London weg und zu ‚PRO!‘?“
„Habe ich Ihnen ja schon erzählt! Weil ich endlich einmal ein eigenes großes Projekt starten wollte! Weil ich gewusst habe, dass ich die Ideen von ‚PRO!‘ weit über Österreich hinaus populär machen kann. – Können Sie sich vorstellen, was es bedeutet, wenn wir eine Energiewende schaffen?“
„Und Sie wären mit Ihrer Kampagne ganz vorne mit dabei. Eine neue Heldin.“
„Na und? Ich bin gut. Warum sollte ich meine Fähigkeiten nicht für die gute Sache einsetzen?“
„Was hat der Greenpeace-Chef in London wirklich gesagt?“
„Sie kriegen die offizielle Mitteilung. Er hat gesagt, dass ich mich radikal, mit all meiner Kraft, für die Umwelt einsetze. Er hat sich gefreut, als ich gegangen bin, weil ich einem ganz wichtigen Projekt sicher auf die Sprünge helfen könne. Und was Karl Novak angeht, so war er früher bei den Demos rund um Gorleben dabei, auch bei einer Menge Anti-AKW-Demos. Kann schon sein, dass da manchmal irgendein Paragraf nicht genau eingehalten wurde, aber die wurden ja dafür gemacht, dass niemand protestieren kann. – Man will uns einfach vernichten. Wir sind zu schnell erfolgreich geworden. Wir machen die Multis nervös.“
„Jemand aus dem Vorstand von ‚AE‘ hat mir gesagt, sein Unternehmen arbeite mit ‚PRO!‘ sehr gut zusammen.“
Tina Bogner sieht mich nachdenklich an. „Klar, tun wir auch. Man muss sich arrangieren. Wir haben ja keine eigenen Leitungsnetze, also speisen wir den Strom aus unseren Windparks in ihr Netz ein, sie kassieren von unseren Ökostromkunden Netzgebühren und wir unsere Stromtarife. Es gibt so etwas wie eine Umweltfamilie. Auch die herkömmlichen Energieanbieter interessieren sich inzwischen für Zukunftstechnologien. Man redet mit den Leuten, die bei ihnen im Bereich erneuerbarer Energie arbeiten, man hat teilweise dieselbe Ausbildung gemacht. Und man macht über die Netze Geschäfte miteinander. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es die ‚AE‘ war, die uns beschuldigt hat.“
„Sieht auch nicht danach aus. Gruber, der ‚Pure Energy‘-Lobbyist, bekommt seit einiger Zeit Droh-E-Mails. Er hat mir zwei davon gezeigt. Darin wird er als Kapitalistendrecksau beschimpft. Und es wird gedroht, dass die Schreiber die Erde von Umweltverschmutzern wie ihm befreien würden. Die Hotmail-Adresse wurde in einem Internetcafé in Innsbruck angelegt, mehr weiß man nicht.“ Ich sehe Tina Bogner aufmerksam an. Scheint so, als würde sie davon zum ersten Mal hören.
„Die kann er sich doch auch selbst geschickt haben! Ganz
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