Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
… Ich tippe den Suchbefehl ein und lande ganz woanders. Mist. Ich habe einen Buchstaben falsch getippt. Ich probiere es noch einmal. Jetzt bin ich auf der Facebookseite. Die wollen, dass ich mich registriere. Bin ich das nicht? Vom Mobiltelefon aus habe ich die Seite noch nie aufgerufen. Aus dem Wald kommt ein Reh. Ich kann es zuerst gar nicht glauben. Es steht am Waldrand und knabbert an den Blättern eines Buschs. Ich darf mich nicht bewegen. Oder sieht es mich im Auto sowieso nicht? Der Fotoapparat. Ich will ins Facebook und ein Reh erscheint. Das Tier hebt den Kopf und sieht in meine Richtung, bewegt die Ohren, als ob es lauschen würde. Ich atme vorsichtig. Dann senkt es den Kopf und frisst friedlich weiter. Langsam taste ich nach dem Fotoapparat. Ich zoome. Das glaubt mir keiner. Leider ist die Autoscheibe ein wenig schmutzig. Klick. Und noch einmal. Ich bewege mich, so weit es geht, zur Windschutzscheibe. Jetzt sieht man die Schlieren deutlicher als das Reh. Ich drehe den Startschlüssel halb. Wenn ich ein Fenster öffne … Vorsichtig drücke ich auf den Knopf. Ein ganz leises Surren. Das Reh sieht aufmerksam her zu mir – und ist mit zwei eleganten Sprüngen im Wald verschwunden.
Dann eben eine paar Fotos samt schmutziger Scheibe. Wunderschön, das Tier. Unschuldig, fällt mir dazu ein. – Vom wem sonst lässt sich das noch sagen? Ich starte den Wagen, biege wieder auf die Landstraße und rufe Fran an. Besser, er sieht nach, ob es bei „Cybersolar“ etwas Neues gibt.
Er geht erst nach geraumer Zeit ans Telefon. Im Hintergrund Lärm. „Kommst du doch noch?“, ruft er. „Man glaubt nicht, wie viele da sind! Sicher zweihundert!“
„Wo?“
„Na bei dem Picknick vor der ‚AE‘-Zentrale.“
„Und was tut ihr dort?“ – Außer Lärm zu machen, füge ich im Geist hinzu.
„Wir essen und trinken, zwei Solargrills gibt es auch, man redet über erneuerbare Energie, alle, die wollen, können Infomaterial verteilen. Einer hat ein Mikro mitgebracht, jeder kann etwas sagen. Und Jana ist unterwegs und macht Interviews für ihre Uni-Arbeit. Fragt Leute, warum sie da sind, was sie wollen.“
„Wer leitet das eigentlich? Kann ich mit ihm reden?“
„Mira, da gibt es keinen Anführer. Das ist ja das Gute. Und die Polizei ist ziemlich ratlos. Wir sind alle bloß zufällig da. Gegen einen Stau am Montagmorgen können sie ja auch nicht polizeilich vorgehen. Jetzt ist der Stau eben auf den Gehsteigen rund um die ‚AE‘. Wenn sie sagen, dass wir den Verkehr beeinträchtigen, dann gehen wir eben ein Haus weiter und setzen uns dort auf den Gehsteig. Alle sind total friedlich. Selbst die Polizisten sind eigentlich sehr okay. Einer hat zu mir gesagt, dass er alles unterstützt, was gegen Atomkraftwerke ist. Das ist zwar zu wenig, aber man sieht: Viele sind auf unserer Seite.“
Klingt irgendwie nett. Es gibt Menschen, die eine Änderung der Energiepolitik wollen und dafür ganz ohne Anführer auf die Straße gehen. Ich werde einen Fotografen hinschicken. „Kannst du klären, ob bei ‚Cybersolar‘ eine neue Botschaft aufgetaucht ist?“
„Klar, ich habe mein Netbook mit, bleib einfach dran.“
Ich fahre weiter die Landstraße entlang, denke an das Reh und die baumelnde Gruber-Puppe. Übers Mobiltelefon höre ich, wie einer durch den Lautsprecher sagt: „Wir sind das Volk, liebe Picknicker! Wir verlangen, dass der CO 2 -Ausstoß massiv reduziert wird. Auch die Generationen nach uns wollen leben! Wenn die Politiker zu feig sind, müssen wir uns einmischen!“ Klatschen, Rumpeln, offenbar hat jemand anderer das Mikrofon ergriffen. „Weg mit den Öl-Multis!“, ruft er. „Sie gehen für ihren Profit über Leichen! Solidarität mit Afrika! Kampf den Kolonialisten!“ Das klingt schon weniger friedlich.
„Mira?“ Fran ist wieder dran. „Die Erklärung zu ihren Zielen und wer sie sind, die kennst du schon?“
„Ja. Sagen Sie etwas zu der Drohung gegen die Fossilen?“
„Gegen Fossile? Kein Wort. Passt aber gut, Fossile, die mit fossiler Energie die großen Geschäfte machen.“
„Man hat eine Puppe, die Gruber verdammt ähnlich sieht, an einen Hochspannungsmast gehängt, und dann damit gedroht, dass es allen Fossilen so gehen werde.“
„Das waren nicht die von ‚Cybersolar‘. Nie im Leben“, antwortet Fran empört.
„Ist eure Mutter übrigens auch da?“
Stille in der Leitung.
„Fran?“
„Na ja. Wir haben gefragt, ob sie mitkommt. Aber sie hat herumgeschnüffelt und hat das mit den
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