Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
Ziemlich lange, um dann wieder einmal ein Loch im Boden zu bestaunen. Wenn ich allerdings jemand von der Fotoredaktion hinjagen könnte, erspart das eine gute Viertelstunde. Ich renne lieber gleich selbst zu unserem Fotografenteam. Regina ist da. Und sie ist bereit, sich sofort ins Auto zu setzen. Optimal. Sie ist interessiert genug, um sich auch darum zu kümmern, was die Behörden erzählen und was sonst vor Ort geschieht.
„Ich weiß nicht, ob das denen in der Geschäftsführung recht ist“, murmelt der Chef der Fotoredaktion. „Wir sollen nicht wegen jedem Mist ausfahren.“
„Jedem Mist?“, empöre ich mich. „Das ist eine wichtige Serie!“
„So wichtig, dass sie dir den Platz dafür halbiert haben. Glaubst du, das bekomme ich nicht mit?“
Wenn er erst um Genehmigung ansucht, kann das ewig dauern. Der Chefredakteur ist heute nicht im Haus.
„Ich bin zu Mittag wieder da“, sagt Regina. „Tschüss!“ Und damit ist sie einfach weg. Ich grinse. Super Kollegin. Ihr Chef weiß nicht so recht, wie er reagieren soll. Dann zuckt er mit den Schultern. „Was soll’s, wird schon passen.“
Ich nicke und gehe zurück an meinen Schreibtisch.
Kurze Zeit später eine Facebook-Nachricht auf einer Sympathisantenseite der deutschen Piratenpartei: In Essen haben sich zweitausend „Cybersolar“-Freunde zu einem Picknick vor der „RWE“-Zentrale versammelt. Sie reden gegen den Bau neuer Kohlekraftwerke, essen und trinken und eine Band singt Lieder gegen Atomkraft. „RWE“ sei der einzige deutsche Energieriese, der noch immer an Atomkraft festhalte, lese ich. Der Bundesumweltminister hat sich offenbar trotzdem auf die Seite des Energieriesen gestellt. „Wir bauen ganze neun Kohlekraftwerke, und nicht mal die sind sicher“, ließ er verlauten. Gefeiert wird unterdessen in einer saarländischen Gemeinde, dort haben sich bei einer Bürgerbefragung über die Änderung des Flächennutzungsplans siebzig Prozent gegen ein 1600-Megawatt-Kohlekraftwerk ausgesprochen. Obwohl viele Menschen in einem jetzt schon bestehenden Kraftwerk arbeiten und deutlich mehr noch in einem Stahlwerk, das dieses Projekt unterstützt hat. Die Kanzlerin soll „not amused“ gewesen sein, lese ich im Netz. Jedenfalls scheinen die Proteste endgültig auf Deutschland übergegriffen zu haben.
Regina ruft an und erzählt, dass ich nichts versäumt habe: Der Schaden an der Gasleitung bestehe tatsächlich bloß wieder in einem großen Loch, an einen Baum in der Nähe war die Botschaft gepinnt:
„Autonome Energieversorgung statt atomarem Terror!“
Die Betriebsfeuerwehr von „AE“ beobachte die Sprengstelle. Für den Fall, dass die Gasleitung doch etwas abbekommen habe.
Oskar meldet sich aus Frankfurt. „Ich komme mit der Maschine um siebzehn Uhr fünfzig in Wien an. Nur falls du nichts Besseres zu tun hast … aber natürlich kann ich mir auch ein Taxi nehmen.“
Ich habe ihm nichts von den Hausdurchsuchungen erzählt, dafür ist heute Abend Zeit genug. Vielleicht hat er eine Idee, was Fran tun soll, um sich weitere Ermittlungen zu ersparen.
„Klar hole ich dich ab“, erwidere ich. Ich mag Flughäfen. Alles im Aufbruch, nichts ist fix und erdgebunden, Abenteuer, das in der Luft liegt. Und die neue „Magazin“-Ausgabe ist gedruckt. Also habe ich Zeit genug.
„Ich muss übrigens noch ein wenig Mira Valensky und Vesna Krajner spielen, ich hab etwas beobachtet, das dich interessieren könnte“, fährt Oskar fort. „Aber besser, wir reden darüber nicht am Telefon.“
„Worum geht es?“, frage ich. Wenigstens eine Andeutung kann er ja machen, wird schon nicht so gefährlich sein.
Oskar lacht. „Erzähle ich dir am Abend. Dann freust du dich doppelt darauf, mich zu sehen.“
„Darüber freue ich mich auch sonst!“, widerspreche ich und denke an meinen einsamen Morgen. Zum Glück gibt es Gismo.
Ich verfasse eine Chronologie der Anschläge und eine der Aufrufe von „Cybersolar“. Wurden alle Anschläge von denselben Tätern verübt? Waren es nur einige wenige, die im Schutz der Anonymität von „Cybersolar“ zugeschlagen haben? Die meisten Attentate scheinen harmlos zu sein, das erste hingegen ist sehr effizient durchgeführt worden. „Cybersolar“ ist erst einige Tage später im Netz aufgetaucht. Und die Gruber-Puppe? Kein Anschlag, sondern eine ziemlich brachiale Drohung:
„So wird es allen Fossilen gehen!“
Und weg war das Fossil.
Ich fahre deutlich früher zum Flughafen, als ich müsste, und parke in einer der
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