Unter Strom - ein Mira-Valensky-Krimi
Energieversorgung zu schaden. Mittelfristig könnten sie auch nützen. Wenn die Menschen zu überlegen beginnen: Brauchen wir diese Leitungen überhaupt? Sind sie nicht vor allem gute Ziele für Terroristen? Gibt es nicht bessere Konzepte, bei denen auch die Gewinne in der Region bleiben? Wie weit ist Tina Bogner bereit, für ihre Visionen, vielleicht auch bloß für den Erfolg ihrer großen Kampagne, zu gehen?
Zum Joggen bleibt keine Zeit mehr. Ich dusche, ziehe bequeme Jeans und Turnschuhe an und mache mich auf den Weg. Ich werde eben die Strecke in die Redaktion im Eilschritt nehmen. Ich packe sicherheitshalber ein Ersatz-T-Shirt in meine Tasche. Falls ich ins Schwitzen komme. Nicht laufen, Mira, aber so schnell gehen wie möglich. Auch das bringt den Kreislauf in Schwung. Sagt ja keiner, dass man dafür unbedingt Stöcke braucht.
„Wer ist denn hinter dir her?“, sagt jemand, als ich keuchend, aber, wie ich finde, ausgesprochen dynamisch die Tür zum Redaktionsgebäude aufstoße. Ich drehe mich erschrocken um. Daniel, unser Volontär von der Fachhochschule.
„Wenn du schneller sein willst als die anderen, musst du in Form sein“, doziere ich. Hoffentlich ist mein Gesicht nicht allzu rot.
„Ich laufe Marathon“, erwidert er.
Dass die Jungen aber auch alles besser können müssen.
Heute berichten viele deutsche Zeitungen über „Cybersolar“. Es gibt zwei Tendenzen: Die einen fordern wieder einmal eine strengere Beobachtung des Internets, schon beim Verdacht, dass es zu strafbaren Handlungen kommen könnte, müsse eingegriffen werden. Internationale Zusammenarbeit wird beschworen.
„Das Internet kennt keine Grenzen. Wir müssen Cyberverbrecher international enttarnen und jagen“,
verlangt ein Chefredakteur.
„Die Freiheit des Internets darf nicht zur Freiheit für Terroristen werden“,
wird der deutsche Innenminister zitiert. Die anderen schreiben tatsächlich über die Inhalte der Forderungen von „Cybersolar“. Selbst unser aller Arnold Schwarzenegger wird bemüht:
„Stellen Sie sich das Maß an Freiheit vor, wenn Gemeinden ihre Energie selbst erzeugen!“
Es werden freilich auch Experten zitiert, die vor Instabilität warnen, wenn es keinen überregionalen Ausgleich der Energieversorgung gäbe.
Wäre schön, würde auch in Österreich mehr über Inhalte geschrieben. – Einige probieren es ohnehin. Die Wiener Stadtzeitung „Falter“ titelt:
„Fort mit den bösen Multis!“
Darunter sieht man den mit Hörnern verzierten Kopf von Hohenfels. Das ist eben ihre Art, ein Thema ironisch zu überhöhen. Warum auch nicht. Wüsste Oskar etwas mehr, es könnte sogar ihm gefallen. Wenn auch aus anderen Gründen. Auf alle Fälle bringen die heutigen Tageszeitungen noch nichts über die Hausdurchsuchungen. Da habe ich die Nase vorn. Ab Mittag wird unser Blatt verkauft.
Erste Agenturmeldungen über die Hausdurchsuchungen gibt es allerdings bereits. Die Staatsanwaltschaft hat eine sehr kurz gefasste Information veröffentlicht, wonach „wichtige Dokumente und Indizien“ beschlagnahmt werden konnten. Es ist von einer „groß angelegten Aktion“ die Rede, die „zeitgleich bei acht Verdächtigen“ durchgeführt wurde. Man sei den „Cyberterroristen“ auf der Spur. Wenn jetzt sogar schon die Staatsanwaltschaft diesen Ausdruck verwendet …
Während ich im Internet surfe, überlege ich: Wann werden die ganzen Daten, die jetzt bei uns gespeichert werden müssen, vernetzt? Reicht der Verdacht, man könnte mit „Cybersolar“ zu tun haben? In gewissem Sinn trifft das ja auch auf mich zu. Erstens als Journalistin. Aber wer recherchiert, steht wohl nicht im Verdacht, Ungesetzliches zu planen. Ist zumindest zu hoffen. Zweitens bin ich natürlich mit Fran, Jana und Vesna eng verbunden. Man könnte mir unterstellen, Informationen zu haben, Frans angebliche Hacker-Aktivitäten zu unterstützen. Kann ich mir sicher sein, dass da nicht längst jemand meiner virtuellen Spur hinterherschnüffelt? Dann kriege ich einen Google-Alert rein und lese:
„Erneuter Anschlag auf Gasleitung! Attentäter konnten fliehen, die Polizei hat die Verfolgung aufgenommen.“
Ich klicke auf die Details der Meldung: Diesmal haben sie versucht, eine Leitung nahe der Grenze zu Tschechien zu sprengen. Offenbar hat die Pipeline gehalten. Ich rechne. Wenn ich im gleichen Schnellschritt, mit dem ich hergekommen bin, zu meinem Auto eile und losfahre, brauche ich circa eine Stunde, bis ich dort bin. Vorausgesetzt, es gibt keinen Stau.
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