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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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erleichtern – vor allem, weil dann Spülmittel überflüssig werden.«
    »Ich finde, das ist kein besonders wichtiges Problem«, murmelte Shreiber. Er dachte an die Öllache auf der Nordsee. »Nein, wirklich nicht.«
    »Meinen Sie das im Ernst?« Flecht runzelte die Stirn. Er musterte Shreiber nachdenklich. »Was werden Sie sagen, wenn sie tatsächlich Rheinwasser trinken müssen, weil es sonst nichts anderes gibt?«
    »Es regnet«, entgegnete Shreiber unbeeindruckt. »Es regnet ständig. Es wird auch nicht aufhören zu regnen. Vorerst nicht. Nein, auf keinen Fall.«
    »Nein?« fragte Flecht spöttisch. »Sind Sie Regenmacher, oder warum sind Sie davon so überzeugt?«
    »Es liegt an den Wolken«, verriet Shreiber. Er flüsterte unwillkürlich. Seine Zunge stieß beim Sprechen gegen die Zähne, so daß seine Stimme einen zischelnden Klang erhielt. »An den Wolken, verstehen Sie?«
    »Nicht ganz, fürchte ich.« Flecht zuckte die Achseln, rauchte, inhalierte tief und beobachtete Shreiber. »Irgendwann wird es keine Wolken, sondern Sonnenschein geben, und dann versickern die Talsperren in den durstigen Kehlen, bis sie völlig leergetrunken sind.«
    »Die Wolken werden bleiben«, versetzte Shreiber grimmig. Angenehm prickelnde Erregung erfüllte ihn, verlieh ihm Selbstbewußtsein und Durchsetzungsvermögen. Ein guter Wein, dachte Shreiber. In der Tat, ein guter Wein. »Die Wolken werden bleiben. Es ist wichtig, daß sie bleiben, begreifen Sie?«
    »Nein«, gestand Flecht. »Ganz und gar nicht. Sie haben zuviel Wein getrunken. Ich glaube, Sie sehen die Probleme ein wenig verschwommen. Ich kenne das. Es liegt an dem Mosel. Typisch.« Er blickte Shreiber mit wachem Interesse an, lehnte sich in seinem Servosessel zurück und schlürfte sein Glas leer.
    »Für Sie ist das alles natürlich, wie?« knurrte Shreiber mit leichtem Zorn über Flechts Ignoranz. »Sie machen sich gar keine Gedanken über die Hintergründe, oder? Aber Sie sind nicht der einzige. Alle anderen denken genau wie Sie.« Er nickte und bewegte dabei leicht den Oberkörper, und die Samthaut der Sessellehne schmiegte sich zärtlich gegen seinen Rücken. »Es ist schwer faßbar und verlangt das Einverständnis der eigenen Winzigkeit, aber die Dinge sind nun einmal so und man kann sie nicht ändern.« Shreiber sprach jetzt schneller, überwältigt von einer plötzlichen Spannung. »Man muß sich anpassen, auch wenn man am Ende dennoch verliert. Und man muß die Augen weit öffnen, weit, verstehen Sie, damit man sieht, was andere nicht sehen, damit man die Zeichen erkennt, die andere nicht erkennen. Die Wolken. Oder Blattern.«
    »Blattern!« schnaufte Flecht. Er schien noch mehr sagen zu wollen, aber dann stutzte er und schnippte verächtlich mit den Fingern. »Ach was, Blattern! Im Grunde ist er doch nur ein verblödeter Fußabtreter, nichts weiter. Er führt nur Anweisungen aus, und daß er sich so aufplustern kann, das liegt einzig und allein an unserer Nachgiebigkeit. Unsere wirklichen Gegner, jene, die für all das verantwortlich sind, angefangen vom verseuchten Rhein über die ständig steigenden Arbeitsnormen bis hin zu der Verdummung durch die Chrons, diese Leute, die durch Armleuchter wie Blattern Fußtritte verteilen lassen, diese Leute sitzen höher, in den oberen Etagen der Bürotürme, hinter den Fenstern, durch die man auf den Nebel hinuntersehen kann … Aber Blattern? Pah, ich meine, wenn wir uns einig sind, wenn alle zusammenstehen, was kann uns dann eigentlich noch viel passieren?«
    Für einen kurzen, bizarren Moment wurde Shreiber von dem Gedanken geplagt, daß sie beide aneinander vorbeiredeten. Wie ein bitterer Tropfen brannte die Vorstellung in ihm und trübte die Erleichterung darüber, daß Flecht tatsächlich keiner von ihnen war, daß er nicht zum Feind gehörte. Aber bedeutete dies denn zwangsläufig, daß Flecht auch auf seiner Seite stand?
    »Blattern ist gefährlich«, sagte Shreiber mit sorgfältiger Betonung. »Allein seine Gegenwart … Er beobachtet, begreifen Sie. Er sammelt Informationen und zieht die Schlinge noch enger. Vielleicht – ja, vielleicht ist Blattern wirklich nur ein Beobachter, keiner seiner Henker und Verführer.« Shreiber befingerte nervös das halbvolle Weinglas und rutschte auf seinem Sessel unruhig hin un her. Wie Frauenhände schmiegte sich der Sessel an seine Schultern, massierte sanft und diskret seine Wirbelsäule.
    Es tat gut. Es entspannte.
    »Aber vielleicht ist er auch mehr. Alles ist möglich.

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