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Unter Tage

Unter Tage

Titel: Unter Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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zurück. »Gehen Sie weg!«
    Flecht fuhr zusammen. »Es tut mir leid. Ich wollte Sie nicht belästigen.«
    »Ich werde mich frischmachen«, erklärte Shreiber. »Nichts weiter, verstehen Sie. Bleiben Sie hier. Ich brauche Ihre Hilfe nicht. Mir geht es gut.«
    »Sie sind krank, nicht wahr?« sagte Flecht übergangslos.
    Shreiber wirbelte herum und rannte keuchend und mit furchtsam klopfendem Herzen durch das Gewirr der dämmrigen Gänge und betete, daß er sich nicht verirrte, nicht jetzt, um Himmels willen nicht jetzt!
    »Shreiber!« rief Flecht.
    Irgendwo summte drängend ein Chron.
    Flecht war hinter ihm. Und er besaß einen jüngeren, einen schnelleren, ausdauernden Körper. »Bleiben Sie stehen«, rief Flecht. »Wo wollen Sie denn hin? Shreiber!«
    Der Feind ließ nun endgültig die Maske fallen. Shreiber wußte jetzt, daß Flecht den Auftrag hatte, ihn zu töten. Flecht – ein Henker.
    »Betreten Sie nicht die Straße«, sagte das Chron. »Radikale Elemente und Anarchisten liefern sich mit der Polizei und der Nationalmiliz erbitterte Straßenschlachten. Eine Aufhebung der Ausgangssperre ist nicht in Sicht. Betreten Sie nicht die Strasse.«
    Shreiber lief. Er lief mit gesenktem Kopf und hob schützend die Arme vor das Gesicht, wenn sich aus der Dämmerung ein Schatten mit menschlichen Umrissen löste, und er stieß die überraschten Kreaturen des Feindes zur Seite und achtete nicht auf ihr verwirrtes und zorniges Geschrei.
    »Shreiber!« brüllte Flecht, doch diesmal war seine Stimme schon nicht mehr so nah, und Shreiber schöpfte neue Hoffnung. Dort. Die Eingangshalle. Sie lag vor ihm am Ende des Korridors. Eine rotbeleuchtete Kuppel aus Kunststoff, in deren poröser Wandwölbung das Rechteck der breiten Glastür wie ein Fremdkörper wirkte.
    »Verlassen Sie nicht das Gebäude«, sagte ein Chron.
    Shreibers Herzschlag setzte aus. Vor der Tür. Ein Mann. Ein müde aussehender Mann mit der Kennkarte des Ordnungsdienstes. Shreiber rannte. Verzweifelte Wut erfüllte ihn. Der Wächter sah auf und fuchtelte mit den Armen. »He! Sie können jetzt nicht ’raus. Die Miliz …« Shreiber prallte mit ihm zusammen. Der Mann gurgelte erstickt und hielt sich mit verzerrtem Gesicht die rechte Schulter. Shreiber rüttelte an der Tür. Verschlossen.
    »Shreiber!« schrie Flecht.
    Shreiber warf sich gegen die Glastür, hörte klirrend die Scheibe zersplittern und sah Glasscherben wie Konfetti durch die Luft regnen. Er kam zu Fall und fühlte scharfen, stechenden Schmerz an seinen Händen. Stöhnend kam er wieder auf die Beine und sah sich in fiebriger Angst um.
    Die Straße war schwarz von Menschen. Wie Maden wimmelten sie scheinbar ziellos durcheinander. Irgendwo ertönte eine kurze, trockene Detonation, dann schoß über den Köpfen der hastenden Gestalten eine dunkle Gassäule in die Höhe und wurde in Sekundenschnelle vom Wind in alle Richtungen verteilt.
    Jemand schrie. Überall waren mit einemmal diese Schreie.
    Lag es an dem Gas?
    Shreiber betrachtete seine Hände, und sie waren zerschnitten und blutig. Seltsamerweise war der Schmerz gewichen. Er drehte den Kopf. Da! Flecht! Flecht erschien in der zersplitterten Tür und äugte vorsichtig nach draußen. Als er Shreiber entdeckte, verzerrte sich sein Gesicht. Sorge? Nein. Gewiß nicht.
    »Shreiber«, rief und winkte er. »Kommen Sie zurück. Wenn die Miliz …«
    Das Menschengewirr teilte sich. Die hustenden, schreienden Gestalten zogen sich allmählich zurück und machten blau Uniformierten Platz. Mehr und mehr Uniformen schälten sich aus der Abenddämmerung, und die Milizionäre trampelten über die am Boden liegenden Transparente und Spruchbänder und schlugen methodisch auf die Flüchtenden ein.
    »Kommen Sie endlich, Sie Idiot!« Flecht gestikulierte. »Oder die glauben noch, daß Sie dazugehören, und dann …«
    Stiefel trommelten auf das Pflaster. Shreiber wandte sich um und musterte die näherkommenden Milizionäre, die mit ihren elektrischen Stöcken die Straße von Demonstranten säuberten; ein Haufen menschlicher Mähdrescher, die in ihrer routinierten Geschäftigkeit nicht einmal Stoppeln übrigließen.
    Shreiber fühlte eine kräftige Hand seinen Oberarm umklammern. Er wurde fortgezerrt. Flecht. »Lassen Sie mich los!« stieß Shreiber entsetzt hervor. »Loslassen.«
    »Die erschlagen Sie«, schrie Flecht. »Die erschlagen Sie doch einfach, Mann, einfach so. Kommen Sie. So kommen Sie doch!« Er wehrte Shreibers ziellose Hiebe mit einer Hand ab und schleppte

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