Unter Verdacht
und beigefarbener Weste. Zur Begrüßung gab sie Sylvia die Hand. »Hallo, Sylvia.«
Sylvia sah sich auch hier eingehend um. Die Einrichtung war modern und zweckmäßig. An den Wänden Bilder, die diesmal verschiedene architektonische Phantasiegebilde zeigten. Karens Arbeitsplatz war eine Anordnung aus zwei Schreibtischen, die, verbunden durch eine abgerundete Verbindungsplatte, in einem rechten Winkel zueinander standen. In Karens Rücken stand eine Front von Regalen und Schränken. Große Fenster sorgten für helles Tageslicht im Raum. Auf dem Tisch der kleinen Sitzgruppe neben der Tür lagen Unterlagen, sorgfältig sortiert. Daneben ein Tablett mit einer Kanne und zwei Kaffeetassen. Karen wies mit der Hand in deren Richtung. »Es ist alles vorbereitet.« Karen goss Kaffee ein.
Sylvia nahm Platz. »Ihre Räume können sich sehen lassen. Genauer gesagt, sie sind in jedem Fall großzügiger eingerichtet als die der Uni. Wie viele Mitarbeiter haben Sie?«
»Fünfunddreißig. Zehn Diplomingenieure Architektur, drei Diplomingenieure Stadt- und Regionalplanung, drei Diplomingenieure Geographie und Landschaftsplanung, fünf Techniker, vier Bauzeichner, fünf kaufmännische Mitarbeiter, fünf Auszubildende sowie fünf sonstige und freie Mitarbeiter«, zählte Karen auf.
»Alle Achtung. Und wie ist die Auftragslage? Die Konkurrenz ist groß. Langanhaltende Rezessionsphasen belasten die Branche fast ununterbrochen.«
»Das ist richtig. Aber in welcher Branche ist das nicht so? Wir haben eine breite Palette an Dienstleistungen. Angefangen bei planerischen Tätigkeiten, wie zum Beispiel Kostenschätzungen, über Ausschreibungsprogramme verbunden mit der Realisierung von Projekten wie in Ihrem Fall, wickeln wir Massenschäden im Auftrag mehrerer Gebäudeversicherungen ab, bewerten Versicherungsobjekte neu. Hinzukommen Gutachtertätigkeiten bei der Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken sowie CAD-Unterstützung und Beratung. Und ein Großteil unserer Zeit gehört der zuverlässigen und individuellen Betreuung des Bauherrn. Wir sind ein engagierter Dienstleistungsbetrieb, der mit moderner Technik – und gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Spezialisten – nicht alles, aber vieles zu leisten vermag. Dabei sind wir auch schon bei unserem Thema.« Karen sah ernst zu Sylvia. »Was Sie mir gestern am Telefon über die Terminbrisanz des Projektes erzählten, ist, das können Sie sich ja denken, eine ziemliche Überraschung für mich gewesen.«
Sylvia nickte verstehend. »Ich selbst bin von meinem Chef ebenso damit überfallen worden. Es ist mir klar, dass der Termin fast illusorisch ist. Aber die Mercura befindet sich in einer heiklen Lage. Wenn Sie es schaffen, ihr da herauszuhelfen, wird man Ihnen sehr dankbar sein. Ich könnte mir gut vorstellen, dass man von Seiten Mercura-Immobilien gerne öfter mit einem so engagierten Partner zusammen arbeitet.«
Karen lächelte leicht, bevor sie ernst erwiderte: »Sie brauchen mich nicht zu ködern. Ich werde auch so alles Machbare versuchen – und auch alles Unmachbare. Aber eines muss klar sein: Ich werde mich nicht unter Druck setzen lassen.«
»Das akzeptiere ich. Obwohl ich Ihnen nicht versprechen kann, dass Reeder es nicht trotzdem versuchen wird«, sagte Sylvia. Innerlich freute sie sich über Karens klar ausgesprochenen Widerspruch und gab ihr Recht. Sie wusste selbst, dass das Projekt in solch kurzer Zeit praktisch unmöglich durchführbar war. Doch hatte sie die Interessen der Mercura zu vertreten.
»Dann sollten wir am besten gleich mit der Arbeit beginnen«, schlug Karen vor. Sie holte ein Laptop vom Schreibtisch, und beide machten sich daran, die einzelnen Durchführungsphasen für das bevorstehende Projekt zu besprechen. Sie erörterten verschiedene Varianten der Ausführungen, wogen Kosten gegen Termine ab, definierten Kontrollpunkte. Ihre Meinungen waren stellenweise konträr. Dann debattierten sie sehr heftig miteinander. Doch die Debatten waren produktiv. Karen nahm Sylvias Kritik auf, hielt gegen. Dabei ging sie forsch zu Werke, ohne von Sylvias Professorentitel beeindruckt zu sein. Sylvia entgegnete ebenso resolut. So hitzig die Diskussion gelegentlich auch war, sie blieb sachlich und zielorientiert. So fiel es Sylvia leicht, auf ihr Vetorecht zu verzichten.
Nach etwa zwei Stunden ging Karen zur Sprechanlage ihres Schreibtischs. »Frau Stahmann, bringen Sie uns bitte neuen Kaffee?« Und an Sylvia gewandt: »Zeit für eine Pause. Mein Mund ist
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