Unter Verdacht
Halle, wo erst am Wochenende die Projektvergabe stattgefunden hatte.
»Entschuldigen Sie, ich bin spät dran«, begrüßte Sylvia Karen. »Schuld ist dieser blöde Lieferwagen, der mir die Ausfahrt aus meinem Parkplatz versperrte. Ich musste fast eine Viertelstunde warten, bis endlich der Fahrer auftauchte.«
Sie gingen zu den Fahrstühlen. Eine Tafel wies aus, dass Reeders Büro im fünften Stock lag.
»Haben Sie sich seelisch und moralisch gut vorbereitet?« fragte Sylvia.
»Ich bin auf alles gefasst«, erwiderte Karen fest.
Reeder begrüßte sie mit ernstem, aber freundlichem Gesicht.
»Guten Morgen, meine Damen.«
»Entschuldigen Sie die Verspätung«, begann Sylvia. »Es ist meine Schuld. Ein Lieferwagen hat mir die Ausfahrt versperrt.«
Reeder nickte. »Schon gut. Das ist nicht unser eigentliches Problem.«
Er führte Karen und Sylvia in einen kleinen Besprechungsraum, wo Kaffee bereitstand. »Bitte, bedienen Sie sich.«
Sie setzten sich. Reeder holte jetzt das Fax vom Vortag hervor und legte es auf den Tisch. Dann räusperte er sich umständlich. »Kommen wir gleich zur Sache. Frau Professor Mehring, sowohl Professor Bauer als auch ich haben mit Ihnen gesprochen und eindringlich auf den Termin des Projektes verwiesen. Sie wissen, dass der Zeitrahmen, den Sie beide in Ihrem Plan aufzeigen, für die Mercura unakzeptabel ist.«
»Aber Herr Reeder, wir wissen doch alle, dass Ihr Wunsch unrealistisch ist. Einer Ihrer Mitarbeiter machte, ob aus Unkenntnis oder Übereifer sei dahingestellt, einen bedauerlichen Fehler, als er Kießling die Fertigstellung des Baus zu einem Termin zugestand, der absolut unrealistisch war. Was die Tatsache, dass dieser Mitarbeiter nicht mehr Ihrer Firma angehört, deutlich macht. Sie, damit meine ich die Geschäftsleitung Ihres Hauses, können doch nicht ernsthaft erwarten, dass wir, speziell Frau Candela, Risiken bei der Durchführung des Projektes eingehen, nur um diesen Termin zu halten. Risiken, die selbstverständlich auf Kosten der Sicherheit des Ganzen gehen.«
»Natürlich will niemand die Sicherheit vernachlässigen. Aber wir erwarten volles Engagement in diesem Projekt. Die Mercura ist bekannt für absolute Zuverlässigkeit. In allem! Sie enttäuscht ihre Kunden nicht.«
»Herr Reeder«, versuchte nun Karen ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. »Sicher könnte ich Ihnen ein Wunder versprechen. Aber wem würde das nutzen? Der von Frau Mehring und mir ausgearbeitete Terminplan enthält die absoluten Minimalfristen. Und glauben Sie mir, wenn ich Ihnen sage, Frau Mehring hat mir Ihre Schwierigkeiten mehr als verdeutlicht! Aber ich sage Ihnen, was Sie brauchen, können Sie von keiner seriösen Firma bekommen.«
»Nach diesem Plan wird der Bau um drei Monate zu spät fertiggestellt. Das kann ich so nicht akzeptieren. Es muss doch die Möglichkeit geben, bestimmte Abschnitte zu beschleunigen.«
»Man könnte durch finanziellen Mehraufwand hier und da eingreifen. Dann gewännen wir vielleicht einen oder auch zwei Monate. Zeitgewinn und Aufwand ständen jedoch in keinem wirtschaftlichen Verhältnis. Zudem hat die Praxis immer wieder gezeigt, dass in solchen Fällen Pfusch am Bau entsteht. Natürlich hat dann keiner Schuld. Es kommt zum Streit unter den Gewerken und Sie haben das, was Sie eigentlich vermeiden wollten: Verzögerungen.«
»Dann ist es Ihre Aufgabe, Frau Candela, dafür zu sorgen, dass kein Pfusch und damit keine Verzögerungen entstehen! Das werden Sie doch wohl können?«
Sylvia runzelte die Augenbrauen. Das war unfair von Reeder. Und das wusste er. Aber er stand unter dem Druck der Geschäftsleitung. Sylvia sah auch, dass es Karen sichtlich gegen den Strich ging, dass ihre Kompetenz auf diese Weise in Frage gestellt wurde. Karen setzte bereits zu einer heftigen Entgegnung an, so dass Sylvia sich beeilte einzugreifen, um eine Eskalation zu vermeiden. Mit möglichst ruhiger Stimme versuchte sie die Wogen zu glätten. »Herr Reeder! Glauben Sie uns bitte, dass wir alles gewissenhaft abgewogen haben. Wir haben den Termin auf Grundlage der gängigen Standards und unter Berücksichtigung aller möglichen Verkürzungen bei Liefer- und Bauzeiten ermittelt. Gewisse Ruhezeiten des Materials müssen einfach berücksichtigt werden. Wenn die Mercura auf den bisherigen Endtermin besteht, lehne auch ich als Beraterin jede Verantwortung ab. Es ist keine Art, Lücken, die durch Versäumnisse an anderer Stelle entstanden sind, zu Lasten Dritter mit der
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