Unter Verdacht
holte einen braunen A4-Umschlag aus der Innentasche seiner Jacke, strich umständlich den Knick in der Mitte glatt und legte den Brief auf den Tisch.
Karen nahm das Kuvert auf und öffnete es. Die Kopien, die sie herauszog, zeigten diverse Kalkulationen, Grundlagen für Wirtschaftlichkeitsanalysen, Finanzierungspläne für Bauprojekte. Und es handelte sich tatsächlich um Gutachten von »Candela & Partner«. Inwieweit sie allerdings wirklich gefälscht waren, konnte sie nicht sagen.
»Woher haben Sie die Unterlagen? Und vor allem, woher nehmen Sie die Gewissheit, dass sie gefälscht sind?«
»Sind das Ihre Unterschriften unter den Kreditanträgen?« überging Holzner ihre Frage und deutete auf einige der Kopien.
Karen schaute auf die Papiere. Ja, sie trugen ihre Unterschrift. Natürlich! Kein Kreditantrag konnte ohne ihre Unterschrift der Bank vorgelegt werden. Sie war die Geschäftsführerin und die Inhaberin von »Candela & Partner«.
Karen versuchte, den beiden Beamten die übliche Verfahrensweise klarzumachen. »Diese Unterlagen sind von mir unterschrieben, das ist richtig. Ich unterschreibe Projektentwürfe, Bilanzen und natürlich alle Kreditanträge – aber ich kann unmöglich alles selbst erstellen. Ich verlasse mich in vielen Dingen auf die Zuarbeit meiner Mitarbeiter.«
Holzner beugte sich vor. »Sollen wir das so verstehen, dass sie einem Ihrer Angestellten zutrauen, die Unterlagen gefälscht und den Betrug durchgeführt zu haben?«
»Wenn ich das täte, wäre dieser Jemand nicht mehr mein Mitarbeiter. Nein. Ich gehe davon aus, dass es sich bei dem, was Sie für absichtliche Fälschungen halten, um zufällige Berechnungsfehler, also menschliches Versagen handelt.«
Natürlich glaubte Karen selbst nicht an ihre Worte. Doch was blieb ihr anderes übrig, als die Sache so darzustellen.
»Dann wird sich bei einer Prüfung Ihrer Bücher ja herausstellen, wo die überschüssigen Summen, immerhin annähernd eine Million Euro, verblieben sind. Wir haben da so unsere Vermutung«, meinte Holzner trocken. Es war klar, dass er an Unterschlagung dachte.
Karen schluckte. Eine Million!
Holzner und Keller beobachteten interessiert, wie die genannte Summe auf Karen wirkte. Sie verständigten sich mit einem Blick. Weder für Karen noch für Sylvia war erkennbar, welchen Schluss sie zogen.
»Selbst bei Verkettung aller ungünstigen Umstände kann bei der Vielzahl der falschen Guthaben und bei der Summe, von der wir sprechen, wohl wirklich nicht der Zufall am Werk gewesen sein«, warf Keller ein und verdeutlichte unmissverständlich, dass man von vorsätzlichem Betrug ausging.
Dass sie recht hatten, war Karen nur allzu klar. Leider. Und dass man sie als Verdächtige Nummer eins handelte, war logisch. Da sie das Gegenteil nicht beweisen konnte, sah es schlecht für sie aus. Würde sie jetzt verhaftet werden? Wahrscheinlich nicht. Immerhin saßen die Beamten hier und redeten mit ihr. Das sprach dafür, dass die Beweislage gegen sie vielleicht doch noch unzureichend war. Ein Hoffnungsschimmer keimte in Karen auf. Es war noch nichts verloren.
Karen machte, wie sie hoffte, ein ungläubiges Gesicht. »Wenn Sie recht haben, das . . . das wäre ja wirklich . . . aber ich versichere Ihnen, bis eben hatte ich keine Ahnung von alldem.« Karen hoffte, die beiden mit ihrem Schauspiel zu überzeugen.
»Dürfen wir Sie um eine Aufstellung bitten, wer die Projekte bearbeitet hat, deren Kopien Sie hier sehen?« bat Holzner daraufhin. »Wir wollen natürlich jeder Möglichkeit nachgehen. Vielleicht hat ja in letzter Zeit bei jemandem ein unerklärlicher Wandel im Lebensstil stattgefunden.« Seine Stimme verriet jedoch, dass er nicht wirklich daran glaubte.
Versuch gescheitert, registrierte Karen und nickte. »Natürlich macht mich meine Position in der Firma zur Hauptverdächtigen.«
»So ist es«, bestätigte Holzner. Er räusperte sich. »Sie würden uns die Arbeit sehr erleichtern, wenn Sie einer Betriebsprüfung zustimmten.«
»Ich rate Ihnen davon ab, Karen«, mischte Sylvia sich jetzt ein. Bis hierhin war sie dem Ganzen schweigend gefolgt. Doch nun war es an der Zeit einzugreifen. Die beiden Beamten setzten Karen zunehmend unter Druck. Da konnte sie nicht länger tatenlos zusehen. Deshalb machte sie Karen jetzt klar, was die Bitte des Beamten bedeutete: »Da Sie die Hauptverdächtige sind, würden Sie gegen Ihre Interessen handeln. Gesetzt den Fall, die Summen werden nicht gefunden, sind Sie verdächtig, sie auf
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