Unter Verdacht
übrigen glaube ich, Sie können sich solche Skrupel im Moment wirklich nicht leisten«, fegte Sylvia Karens Einwand beiseite.
Und Karen, die normalerweise gewohnt war, alles selbst in die Hand zu nehmen, gestand sich ein, dass sie in ihrer derzeitigen Verfassung dankbar sein konnte, Sylvia auf ihrer Seite zu haben.
»Ich denke, wir lassen es mit der Arbeit heute auf sich beruhen«, meinte Sylvia. »Im Interesse des Projektes wäre das jedenfalls das Beste, wie mir scheint. Sie sind jetzt sowieso nicht bei der Sache. Wir machen morgen Vormittag weiter.«
Karen nickte. »Sie haben recht. Ich bin mit meinen Gedanken abwesend. Entschuldigen Sie.«
»Das sollte kein Vorwurf sein«, erwiderte Sylvia.
»Er wäre aber gerechtfertigt. Schließlich sollen wir eigentlich das Terminproblem der Mercura lösen und nicht meine persönlichen Probleme. Es ist mir ehrlich gesagt ziemlich peinlich, mich so unprofessionell zu verhalten.«
»So ein Quatsch.« Sylvia war deutlich verärgert über Karens Selbstzerfleischung. Das brachte sie nicht im mindesten weiter! Aber weil Sylvia einsah, dass sie Karen das in ihrer Situation auch nicht übelnehmen konnte, tat sie das Naheliegende und legte die Notwendigkeiten fest. »Sie rufen den Bauleiter an«, sagte sie deshalb zu Karen in gewohnt ruhigem Ton. »Dann läuft das Kießling-Projekt die nächsten zwei Wochen wie heute morgen besprochen. Es ist völlig egal, ob wir beide heute, morgen oder in drei Tagen mit der Planung weitermachen. Ich komme noch einmal mit in Ihr Büro und Sie geben mir Kopien dieser Gutachten.«
»Und ich rufe Reimann an und setze ihn über die neue Situation in Kenntnis.« Karen hatte sich wieder gefasst.
»Ja«, stimmte Sylvia zu. »Dann weiß er, dass Eile geboten ist.«
Karen grübelte. Vor ihr ausgebreitet lagen die Unterlagen zu den Gutachten, die Keller dagelassen hatte. Sie hatte nicht lange gebraucht, um herauszufinden, dass alle fünf Gutachten von Ralf Gregor erstellt worden waren.
Natürlich war Ralf ebenso auf Zuarbeiten angewiesen wie sie. Es konnte theoretisch sonstwer für die falschen Details in den Unterlagen verantwortlich sein. Trotzdem. Merkwürdig war es schon, dass die Fälle alle seine Projekte betrafen.
War es möglich, dass Ralf . . .? Oder wollte jemand den Verdacht auf ihn lenken? Seine schnelle Karriere in der Firma brachte ihm nicht nur Anerkennung, sondern auch Neider ein. Einer dieser Neider konnte ihn zum Sündenbock für seine illegalen Geschäfte machen wollen.
Karen wählte Ralfs Apparatenummer. Fünf Minuten später stand er in ihrem Büro.
»Hallo, schöne Chefin. Was gibt es denn so Dringendes?«
»Ich glaube, du solltest dich setzen.« Karen wies auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. »Erstens wird es etwas länger dauern, und zweitens wird es sehr unangenehm werden.«
In kurzen Sätzen berichtete Karen jetzt zunächst vom Besuch der Beamten.
»Und die verdächtigen dich?« fragte er kopfschüttelnd, nachdem sie geendet hatte.
»Allerdings. Das liegt ja auch auf der Hand. Die Gutachten lagen den Kreditanträgen bei, die ich unterschrieben habe.« Karen legte jetzt Kopien der Gutachten auf den Tisch. Ralf nahm sie, schaute drauf, blätterte. »Das sind meine Kalkulationen«, stellte er nach kurzem Überfliegen fest.
»Das habe ich auch bemerkt. Alle diese Fälle betreffen ausschließlich deine Projekte.«
Ralf lächelte, halb beleidigt, halb verunsichert. »Karen, traust du mir das wirklich zu!?«
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll, Ralf!« Karen wollte Antworten, keine Fragen. »Gib du mir eine Erklärung.«
»Ich habe keine. Aber gesetzt den Fall, ich hätte was damit zu tun, glaubst du wirklich, ich wäre so dumm, meine eigenen Projekte zu benutzen?«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Immerhin kann man so am unauffälligsten manipulieren.«
»Ja, und man hat ziemlich schlechte Karten, wenn die Sache auffliegt«, erwiderte Ralf aufgebracht. »Wie man sieht!«
»Das ist die andere Seite«, räumte Karen ein.
»Wahrscheinlich benutzt jemand meine Projekte, um genau den Zweifel zu säen, den ich jetzt in deinen Augen lese«, sagte Ralf eindringlich.
Karen nickte. »Daran habe ich allerdings auch schon gedacht.«
Es entstand eine Pause.
»Und nun?« fragte Ralf.
»Holzner wird sich natürlich ebenso wundern wie ich, wenn er davon erfährt. Und das lässt sich nicht vermeiden«, meinte Karen.
»Das geht schon in Ordnung«, erwiderte Ralf verständnisvoll. »Dir bleibt ja nichts anderes
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