Unter Verdacht
auf und gab bekannt, dass seine gute Erziehung es ihm gebiete, die Dame jetzt zu verlassen.
»Die Dame dankt, dass der Herr so auf ihren Ruf bedacht ist«, antwortete Sylvia grinsend und brachte ihn zur Tür.
10.
D er nächste Tag stand ganz im Zeichen des Kießling-Projektes. Sylvia und Karen bereiteten den Eintritt in die erste Realisierungsphase vor. Sie arbeiteten sehr konzentriert. Präzise legten sie die Schritte fest. Sylvia hinterfragte verschiedene kritische Stellen des Entwurfes. Karen erklärte. Sie diskutierten, gestikulierten. Am Ende fasste Sylvia noch einmal zusammen.
Jetzt sah sie hoch und genau in Karens Augen. Dann lächelte sie. »Entschuldigen Sie. Ich doziere hier wie vor einer Gruppe Studenten. Sie müssen mich stoppen, wenn ich zu sehr darin verfalle.«
»Sie schaffen es irgendwie, mich dabei zu fesseln.« Karens Stimme klang gedämpft.
Sylvia stieg bei diesem Lob eine leichte Röte ins Gesicht.
»Sie brauchen nicht verlegen zu werden. Das war ein ernstgemeintes Kompliment. Vertragen Sie keine Komplimente?« frotzelte Karen.
»Ja, also . . .« Sylvia setzte an fortzufahren, doch der Faden war verschwunden. »Sie haben mich völlig aus dem Konzept gebracht!« Sie wollte Karen strafend anblicken. Es wurde nur ein unsicheres Blinzeln daraus.
»Es war nicht meine Absicht, Sie in eine Schaffenskrise zu stürzen«, amüsierte sich Karen. »Ich werde mich mit der Verkündung von Lob in Zukunft zurückhalten.«
Das Telefon unterbrach ihre Unterhaltung. Karen nahm ab.
»Ja?« fragte Karen fröhlich. Doch bei den nächsten Worten klang ihre Stimme ernst. »Sie sollen hereinkommen.«
Die Tür ging auf. Sylvia erkannte Holzner und Keller. Beklommen stand sie auf. Sie ahnte nichts Gutes.
»Hauptkommissar Holzner, Steuerfahndung«, stellte Holzner sich Karen vor. »Mein Kollege, Kommissar Keller.« Dabei wies er auf Keller, der auch heute wieder Stoppeln im Gesicht hatte. »Frau Candela, wir haben einige Fragen an Sie.«
Karen sah zu Sylvia und nickte unauffällig. Jetzt würde sie wohl erfahren, was der Grund für das Interesse der beiden Herren an ihr war.
Karen räumte die Unterlagen vom Tisch. Sie forderte die Beamten auf, Platz zu nehmen. Sylvia wollte das Zimmer verlassen. Karen bedeutete ihr jedoch zu bleiben. »Das heißt, wenn die Herren nichts dagegen haben.«
Das hatten sie nicht, und so setzte sich Sylvia wieder.
»Frau Mehring hat mich über Ihren Besuch bei ihr informiert. Und wie Sie sehen – ich habe mich noch nicht abgesetzt«, eröffnete Karen die Unterhaltung burschikos.
»Das spricht für Sie, Frau Candela.« Holzner blieb ernst. »Dann wissen Sie ja, dass wir gegen Sie ermitteln. Und ich muss Ihnen sagen, dass unsere Ermittlungen bisher nichts Gutes für Sie ergaben.«
»Was habe ich denn angestellt?« meinte Karen salopp.
Holzners Augen fixierten Karen. Langsam und eindringlich erwiderte er: »Kreditbetrug und Steuerhinterziehung.«
»Bitte?« fragte Karen verdattert. Sie hatte einen ganz anderen Vorwurf erwartet. Was bedeutete das jetzt?
Holzner war auf eine längere Erklärung eingestellt. Er spulte sie praktisch herunter. »Ihre Firma erstellte nachweislich falsche Gutachten für Objekte, in die sie selbst investierten. Bausubstanz wurde zu niedrig bewertet, der Investitionsaufwand überhöht dargestellt. Dies geschah mit der Absicht, höhere Kredite von den Banken zu erhalten. Uns interessiert, wohin das Geld für die angeblichen Aufwendungen geflossen ist.« Holzner machte eine kurze Pause. »Und natürlich liegt auf der Hand, dass die scheinbar Geld fressenden Bauobjekte als Abschreibungsobjekte für die Steuer benutzt wurden.«
Karen hörte Holzner erstaunt, aber auch interessiert zu. Denn in ihrem Kopf formte sich Stück für Stück die Antwort auf die Frage, die sie sich schon seit Drechslers Geständnis stellte, nämlich: Warum waren ihr selbst die Unterschlagungen nicht aufgefallen? Auch ohne Drechsler hätte sie doch auf Negativdifferenzen in den Aufträgen aufmerksam werden müssen!
Das hier war die Antwort! Die falschen Gutachten hatten dafür gesorgt, dass ein Überschuss kreditiert worden war. Die Unterschlagungen blieben unentdeckt, weil sie sich wahrscheinlich auf diese Überschussbeträge beliefen. Die Methode des Betruges, das Wie, war damit klar. Blieb nur noch das Wer offen.
Holzners Gesicht sowie seinen Worten entnahm Karen, wie er diese Frage beantwortete.
»Ist es zuviel verlangt, diese Gutachten zu sehen?« fragte Karen.
Keller
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