Unter Verdacht
Sylvia schon nachmittags. Ellen öffnete ihr die Tür. »Hallo, Sylvia. Schön, Sie zu sehen. Wie geht es Ihnen?«
»Danke, gut«, erwiderte Sylvia gutgelaunt. »Und selbst?«
»Bestens. Nur – ich muss zugeben, ich bin ein wenig eifersüchtig auf Sie. Bis jetzt stand es ausschließlich mir zu, Karen zu pflegen«, neckte Ellen und ließ Sylvia eintreten.
»Dann wissen Sie ja, dass das keine leichte Aufgabe bei dieser Patientin ist, und sind mir dankbar, dass ich Ihnen diesmal etwas helfe«, erwiderte Sylvia im scherzhaften Ton.
Ellen lachte nur.
»He, was soll das. Man redet nicht schlecht über Kranke«, beschwerte Karen sich aus dem Wohnzimmer von der Couch her.
»Ich geh dann mal«, verkündete Ellen. »Es reicht, wenn du eine Pflegerin traktierst.« Sie winkte und zog die Tür hinter sich zu.
Sylvia ging ins Wohnzimmer.
»Was steht heute auf dem Plan, Frau Professor?« fragte Karen gutgelaunt, als sie Sylvia sah.
»Ich habe mir gedacht, es ist nun Zeit, dass Sie mal wieder an die frische Luft kommen. Ein kleiner Ausflug wird Ihnen nicht schaden«, meinte Sylvia.
»Das hört sich toll an. Wo geht es denn hin?« wollte Karen wissen.
»Nun, wir wollen es nicht gleich übertreiben. Ich dachte an den botanischen Garten.«
Karen hatte sich bei Sylvia eingehakt. »Ich kann nur immer wieder beteuern, dass ich den LKW-Fahrer nicht selbst angeheuert habe, um so in den Genuss zu kommen, mich verwöhnen zu lassen.«
Sie schlenderten langsam den Weg entlang.
»Sie gehen also auch davon aus, dass es kein Zufall war?« Bisher hatte Sylvia über ihren Verdacht geschwiegen, weil sie abwarten wollte, bis es Karen wieder besser ging.
»Allerdings«, sagte Karen nachdrücklich. »Der Fahrer muss uns beide gesehen haben. Und warum fuhr er überhaupt so schnell? Der LKW kam urplötzlich auf uns zu geschossen. Auf Baustellen fährt man normalerweise nur Schritttempo!«
»Wissen Sie, was Sie da sagen, Karen?« Sylvia lief es eiskalt den Rücken hinunter.
»Dasselbe, was Sie denken«, erwiderte Karen. »Jemand will mich, oder sogar uns beide, einschüchtern. Und da kommen wohl nicht viele Personen in Frage. Mir fällt nur eine ein.«
»Gregor«, sprach Sylvia den Verdacht laut aus.
»Ja. Unzweifelhaft wird er langsam nervös. Bachmann ist entlarvt. Außerdem hat Gregor wohl inzwischen mitbekommen, dass wir gegen ihn recherchieren. Und die Computer in der Firma sind immer noch abgeschaltet, was die betrieblichen Programme betrifft. Es läuft also nicht so, wie er es sich erhofft hatte. Es gibt eine zweite Theorie, die Dinge zu erklären, und die bringt ihn, Gregor, ins Spiel. Bisher glaubt niemand dieser Theorie, aber das könnte sich ändern, wenn unsere Recherchen erfolgreicher werden.«
»Ich will ja nicht den Teufel an die Wand malen, aber es könnte noch schlimmer sein. Vielleicht glaubt Gregor, die Lösung seines Problems gefunden zu haben, indem er die offizielle Verdächtige des Falles sterben lässt. Ein tragischer Unfall. So was passiert alle Tage.« Sylvia unterbrach sich. Allein der Gedanke an diese Möglichkeit schnürte ihr die Kehle zu. »Vielleicht denkt er, die Polizei würde die Ermittlungen nach Ihrem Tod einstellen. Das wäre ganz in Gregors Sinne.«
»Sie denken, da er schon Drechsler auf dem Gewissen hat, wird es ihm bestimmt nichts ausmachen, noch einmal zu töten«, meinte Karen.
»Ich fürchte, ja.«
Sie gingen schweigend.
»Ich bringe Sie in Gefahr, Sylvia«, sagte Karen jetzt leise.
»Nun fangen Sie nicht wieder damit an!«
»Das ist etwas anderes als bisher.« Karen blieb stehen und zwang Sylvia so, sie anzusehen. »Es geht nicht mehr um Ihren Job. Es geht um Ihre Gesundheit, vielleicht um Ihr Leben.«
Sylvia erwiderte Karens Blick. »Und um Ihres. Bemühen Sie sich nicht weiter, Sie werden mich nicht los.«
Karen schüttelte leicht den Kopf. »Das ist das letzte, was ich will, das wissen Sie.«
22.
M ontag Vormittag wurde Drechslers beigesetzt. Karen ging anschließend direkt ins Büro. Als Sylvia am Nachmittag kam, stand Karen noch immer unter dem Eindruck der Beisetzung. Drechslers Frau war während der gesamten Zeremonie von ihren Kindern gestützt worden.
»Sie ist völlig am Ende.« Karen sah nachdenklich aus dem Fenster.
»Verständlich«, meinte Sylvia. »Der Tod eines lieben Menschen ist sicher schon schwer genug zu verkraften. Wenn er dann auch noch gewaltsam herbeigeführt wurde und demzufolge völlig unvorbereitet kommt, breitet sich nicht nur das Gefühl der Leere
Weitere Kostenlose Bücher