Unter Verdacht
ich komme«, lautete die Antwort.
Gerade hatte Sylvia die erste Wand geweißt, als es auch schon an der Wohnungstür klingelte. Nanu? Normalerweise ließ Anne sich reichlich Zeit, wenn es um Arbeit ging. Sylvia säuberte ihre Hände an den farbbeschmierten Jeans, so gut es eben ging, und öffnete die Wohnungstür. Doch draußen stand nicht Anne, sondern Karen.
»Oh, Sie?« Verblüfft sah Sylvia Karen an.
»Ich bin unmöglich. Verzeihen Sie mir?« fragte Karen zerknirscht.
»Nein«, Sylvia drehte sich um, ließ aber die Tür offen.
Karen nickte. »Sie ist wirklich sauer«, sagte sie zu sich selbst und ging hinter Sylvia her. »Ich entschuldige mich.« Karen hob eine Flasche Wein hoch und sah sich um. »Sie renovieren?«
»Sehen Sie sich vor, dass Sie sich nicht dreckig machen.«
»Ich helfe Ihnen«, bot Karen an.
»Sie brauchen mir nicht helfen«, erwiderte Sylvia immer noch verärgert.
»Haben Sie noch eine Rolle?« überging Karen die Ablehnung.
»Im Bad«, brummte Sylvia.
»Heißt das, Sie verzeihen mir?« Karen sah sie flehend an.
»Ich weiß noch nicht.« Sylvia nahm ihr die Flasche Wein ab und stellte sie in die Küche.
Karen ging lächelnd ins Bad. »Wo soll ich anfangen?« rief sie, während sie sich Eimer, Abstreichsieb und Rolle suchte.
»Warten Sie einen Moment.« Sylvia ging ins Schlafzimmer und kam mit einer ausgedienten Jeans und einem T-Shirt zurück. Sie drückte Karen beides in die Hand. »Ziehen Sie das an. Die Farbe lässt sich zwar nach Angaben des Herstellers herauswaschen. Aber sicher ist sicher.«
»Passt«, verkündete Karen, als sie wenig später im Flur stand.
»Na, dann suchen Sie sich eine Wand im Arbeitszimmer aus«, rief Sylvia ihr über die Schulter zu.
»Welches wo ist?«
Sylvia deutete auf eine der Türen. Karen verschwand. Wenig später rief Karen aus dem Zimmer: »Außer dass mich mein schlechtes Gewissen plagte, wollte ich Sie zu einem Tennismatch überreden. Sagten Sie nicht, Sie spielen?«
»Ein wenig. Ich habe ein paar Jahre während meiner Schulzeit trainiert. Und man verlernt es ja nicht. Man rostet nur ein!«
»Also bestelle ich einen Platz für übermorgen? Zwanzig Uhr?« schlug Karen vor.
»Einverstanden.«
Plötzlich – ein dumpfer Aufprall aus dem Arbeitszimmer. Erschrocken lief Sylvia hinüber, um nachzusehen. Dann prustete sie los. Karen saß rittlings auf dem Fußboden, hielt die Malerrolle von sich gestreckt und Mozart lief aufgeregt gurrend um sie herum.
»Entschuldigen Sie«, gluckste Sylvia. Sie konnte sich kaum beruhigen. »Ich hätte Sie warnen müssen. Mozart hat die dumme Angewohnheit, sich in unmittelbarer Nähe von Füßen aufzuhalten und sich damit zwangsläufig in den Weg zu stellen.«
Jetzt krabbelte der kleine Kater auf Karens Schoß, drehte sich einmal um sich selbst und ließ sich fallen.
Karen hing die Malerrolle über den Rand des Farbeimers und streichelte den kleinen Kerl. Dieser genoss die ihm zuteil werdende Zuwendung mit einem wohlwollenden Schnurren. Plötzlich sprang er auf und lief mit erhobenem Schwanz in den Flur. Es hatte geläutet.
Karen rappelte sich auf. Sylvia ging die Tür öffnen. Kurz darauf erschien sie in Annes Begleitung wieder im Arbeitszimmer.
»Karen Candela – Anne Lorenz«, stellte sie die beiden einander vor. »Anne ist meine Kollegin und beste Freundin seit der Studienzeit.«
»Hallo, Anne«, begrüßte Karen sie.
»Hallo. Und woher kennen Sie Sylvia?« fragte Anne, neugierig wie immer.
»Wir arbeiten zusammen.«
»Du weißt schon, dieses Beraterprojekt«, erklärte Sylvia wie beiläufig.
»Ach, Sie sind das!« platzte Anne zu Sylvias Entsetzen heraus.
»Bitte?« fragte Karen verständnislos.
Sylvia hypnotisierte Anne mit ihren Augen.
»Ach – nichts«, winkte Anne ab. Und an Sylvia gewandt: »Entschuldige, ich komme mal wieder zu spät. Aber wie ich sehe, hast du dir ja anderweitig Unterstützung geholt.«
»Die Hilfe kam ganz zufällig.«
»Na, dann werde ich erst einmal für Getränke sorgen.« Anne verschwand in der Küche. Es klapperte und kurz darauf knallte ein Korken. Anne kam mit drei Gläsern und der Flasche Wein wieder.
»Prost, Malermeisterin«, sagte sie dabei zu Sylvia und »Prost, Gesellin« in Richtung Karen. Karen lachte.
In den nächsten zwei Stunden quasselte Anne, wie es ihrem Wesen entsprach, fast ununterbrochen, während Sylvia und Karen die Arbeit taten. Flur und Arbeitszimmer strahlten anschließend in frischem Weiß.
Anne bot sich an, die Leitern in
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