Unter Verdacht
Aufräumarbeiten, die sie nach der Renovierung zu Hause erwarteten, stimmten Sylvia um.
»Überredet«, gab sie nach. Seine gute Laune wirkte wieder einmal unwiderstehlich ansteckend.
Sie fuhren zu Sylvia, wo diese ihren Wagen stehenließ und in Torstens umstieg. Sie kauften an einer Tankstelle eine Zeitung und entschieden sich unter den diversen Angeboten der Kinoprogramme für den neusten James Bond. Der Film war ein typischer seiner Art: 007 rettet die Welt mit raffinierten technischen Tricks und unwiderstehlichem Charme, dem jede Frau, ob Freundin oder Feindin, erliegt.
Nach dem Kino schlug Torsten einen Restaurantbesuch vor. Während des Essens unterhielt er Sylvia gewohnt geistreich. Hin und wieder legte er seine Hand auf ihre. Sylvia ließ es zu. Als Torsten Sylvia schließlich vor ihrem Haus absetzte und sich verabschiedete, nahm er sie in seine Arme und küsste sie. Seine Lippen waren nicht so weich wie Karens, seine Zunge auf eine andere Art zärtlich.
Sylvia wartete gespannt auf eine Reaktion ihres Körpers. Vergeblich. Ihr Herz schlug in der gewohnten Gleichmäßigkeit. Sie spürte keine innere Aufwallung oder irgendeine andere Art von Erregung.
Torsten ließ sie los. »Du bist nicht sehr beeindruckt«, stellte er enttäuscht fest.
»Tut mir leid.« Das war ehrlich gemeint. Sylvia wünschte selbst, dass sie bei seinem Kuss mehr empfunden hätte. Es hätte ihr bestätigt, dass sie doch normal reagierte. Dass das Durcheinander ihrer Gefühle, wenn Karen sie berührte, nur auf die Konstellation Frau-Frau zurückzuführen war. Sylvia machte sich nichts vor. Nur deshalb war sie heute mit Torsten ausgegangen. Weil sie wusste, es würde genau das passieren, was eben passiert war. Nur war ihre Reaktion nicht die, die sie erhofft hatte.
»Könnte sich das noch ändern, wenn ich warte?« forschte Torsten.
»Nicht so sehr, dass es dir genügen würde«, erwiderte Sylvia ehrlich.
Er nickte. »Schade. Doch bevor ich mich zum lästigen Trottel entwickle, werde ich die Tatsache akzeptieren.«
»Du bist mir nicht lästig, und erst recht kein Trottel. Es ist nur so, dass ich dich nicht liebe.«
»Da bist du dir ganz sicher?«
»Ja, ich denke schon«, erwiderte Sylvia leise.
»Ich will dich nicht bedrängen, Sylvia. Wirklich nicht.« Seine Stimme klang ernst. »Es würde mir zwar eine ganze Ecke besser gehen, wenn du anders reagiert hättest. Aber damit musste ich rechnen.«
Sylvia vermied bewusst tröstende Worte. Was sollte sie auch sagen?
»Ich möchte trotzdem nicht aufgeben«, sagte Torsten. Er küsste sie flüchtig auf die Wange. Dann ging er zu seinem Wagen. Sylvia sah ihm nach.
Deshalb fiel ihr nicht auf, dass in dem Daimler, keine fünf Meter entfernt, Miriam Winter saß und vor sich hin lächelte. Sie war sehr zufrieden mit dem Schnappschuss, den sie eben gemacht hatte. Die Einwegkamera, die eigentlich im Handschuhfach lag, um bei einem Unfall Fotos vom Unfallort machen zu können, erwies ihr jetzt einen guten Dienst. Miriam wusste, dieses Bild würde Karen ein für alle Mal von Sylvia heilen. Denn sie kannte Karens wunden Punkt. Karen hatte ihr voll Bitterkeit von Michaela erzählt und dass sie nicht noch einmal um eine Frau kämpfen würde, deren Unentschlossenheit und sinnlose Angst Karens Lebensfreude gleich mit zerstörte. Dieses Foto würde Karen beweisen, dass sie von ihrer Professorin nichts zu erwarten hatte! Die einfachsten Mittel waren doch immer noch die wirkungsvollsten. Miriam freute sich auf den Augenblick, da sie Karen das Bild präsentierte. Ihr ursprüngliches Vorhaben, mit Sylvia »zu reden« war hinfällig. Der Zufall hatte ihr weitaus besseres beschert.
Es klingelte an der Tür. Draußen standen Keller und Sachs.
»Dürfen wir hereinkommen?« fragte Keller.
»Bitte.« Karen führte die beiden ins Wohnzimmer.
Keller schaute sich demonstrativ um. »Ist Ihre Freundin nicht da?« Heute schien Keller der Wortführer zu sein. Eine Taktik von Sachs, um sie zu beobachten?
»Wie meinen Sie?« Karen verstand nicht.
»Frau Mehring. Ist sie nicht Ihre ständige Begleiterin? Haben Sie etwa keine Beziehung mit ihr?« Keller schoss seine Fragen wie Pfeile ab.
»Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.«
Jetzt mischte sich Sachs ein. »Wir ermitteln in einem Mord. Da interessiert uns alles. Frau Mehring gibt Ihnen ein Alibi. Da ist es schon relevant, in was für einem Verhältnis Sie zueinander stehen. Sie sind doch lesbisch!?«
»Frau Mehring ist wohl eine Freundin. Aber wir haben
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