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Untergrundkrieg

Titel: Untergrundkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Angestellte, sodass der ganze Betrieb in einer Wohnung Platz hatte. Inzwischen ist die Firma sehr gewachsen.
    Eine Firma zu gründen ist nicht schwer, und es kommt gar nicht so selten vor, dass allmählich aus einer kleinen eine große Firma wird. Das hängt sehr stark von der Weitsicht der Eigentümer und der Designer ab, wenn die versagt, geht das Ganze den Bach runter. Bei der Produktion kann wegen der modernen Präzisionsmaschinen nicht so viel schief gehen, wenn nicht gerade gravierende Fehler gemacht werden. Aber Weitsicht und Kreativität kann man nicht speichern – sie sind nicht lange haltbar. Es gibt eine Menge Firmen, die ganz groß wurden und plötzlich doch wieder verschwanden.
    In den dreizehn Jahren, die ich bei meiner Firma beschäftigt bin, ist sie ständig gewachsen. Inzwischen haben wir eigene Geschäfte mit über 350 Angestellten. Ungefähr hundert arbeiten im Büro. Ich sitze im Verkaufsmanagement und habe mit der Produktion zu tun. Unser Büro ist in Hiroo [im Südwesten des Zentrums von Tokyo].
    Ich wohne im Stadtteil Edogawa; die für mich günstigste U-Bahn-Station ist Nishi-Kaisai. Vor zehn Jahren habe ich geheiratet und eine Eigentumswohnung gekauft. Wir haben zwei Kinder. Meine Tochter geht in die fünfte Klasse, mein Sohn in die dritte. Mir gefällt es, in der alten Unterstadt zu wohnen. Vielleicht, weil ich vom Land bin ( lacht ). Es ist entspannter dort.
    Der 20. März fällt mit dem Höhepunkt der Verkaufssaison im Frühjahr zusammen, das heißt, wir haben um diese Zeit viel zu tun und können uns zum Frühlingsanfang auch kein verlängertes Wochenende gönnen. Unsere übliche Besprechung am Montagmorgen war um eine dreiviertel Stunde vorverlegt, sodass ich genau in den Sarin-Anschlag geriet.
    In Kayabacho stieg ich in die Hibiya-Linie nach Hiroo um, aber mir ist nichts Besonderes aufgefallen. Ich war in einem mittleren Wagen, dem sechsten vielleicht. Alles war wie immer. Nach Hatchobori gab es eine Durchsage: »Da einige Fahrgäste erkrankt sind, wird der Zug an der nächsten Station länger halten.«
    An der Haltestelle Tsukiji wurde gemeldet, zwei Fahrgäste seien ohnmächtig geworden. Dann hieß es, sogar drei Fahrgäste seien ohnmächtig. Da geriet der Schaffner selbst in Panik. Zuerst informierte er noch ganz sachlich die Fahrgäste, aber allmählich wurde er selbst verwirrt und ratlos. »Was ist hier bloß los?« schrie er ins Mikrofon.
    »Oh, verdammt«, dachte ich. Aber niemand schien besonders beunruhigt zu sein. Wenn das Gleiche jetzt noch einmmal passieren würde, bräche wahrscheinlich sofort Panik aus, aber damals wusste man ja noch nichts. Dann fiel mir der Vorfall in Matsumoto ein. Nicht dass ich an Sarin gedacht hätte, aber mit Matsumoto assoziierte ich das Freisetzen von Giftstoffen und ich dachte: »Bestimmt hat irgendein Irrer ein Pestizid ausgestreut.« Zu der Zeit hatte ich überhaupt noch keine Ahnung von Aum. Die wurden doch erst später mit Sarin in Verbindung gebracht, oder?
    Wir wurden angewiesen, den Bahnhof durch den hinteren Ausgang zu verlassen, da das Problem irgendwo im vorderen Teil des Zuges lag. Alle benahmen sich gesittet und gingen langsam auf den Ausgang zu. Ich war vorsichtig und presste mir ein Taschentuch auf den Mund, aber niemand sonst tat das. Anscheinend war ich der Einzige, der Gefahr witterte.
    Aber ich war neugierig, was los war, und schaute auf den Monitor über dem Bahnsteig, während wir auf die Fahrkartensperre zugingen. Jemand lag bewusstlos auf dem Bahnsteig. Als ich den Bildschirm anstarrte, schrie mich ein Bahnbeamter an: »Machen Sie schon, gehen Sie bitte weiter!«
    Oben kauerten überall Leute. Einige lagen, die meisten rieben sich die Augen. Es waren viele. Alle schienen etwas an den Augen zu haben. Einige waren wie geblendet, anderen kam alles dunkel vor … Ich beschloss, mir selbst anzusehen, was da vorging. Ich konnte nicht einfach fortgehen. Also stieg ich auf eine Fußgängerbrücke und beobachtete das Geschehen von oben. Meine Besprechung hatte ich abgeschrieben.
    Bald kam ein Krankenwagen und sperrte die Straße für den Verkehr. Dann errichteten sie ein Zelt, in das die Verletzten gebracht wurden. Mittlerweile hatten sich auch auf der Fußgängerbrücke so viele Schaulustige versammelt, dass ich ging …
    Ich fuhr mit der Ginza-Linie nach Shibuya, um von dort den Bus nach Hiroo zu nehmen. Die Bushaltestelle war völlig überfüllt, vermutlich, weil die Hibiya-Linie ausgefallen war. Auf einmal entdeckte ich einen

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