Untergrundkrieg
Während der Fahrt fiel mir nichts Besonderes auf. Irgendwann erreichte uns aus der Zentrale die Meldung: »In Tsukiji hat es eine Explosion gegeben. Bitte halten Sie den Zug an.«
In Kodemmacho, das war die nächste Haltestelle, hielten wir an, und ich machte eine Durchsage an die Fahrgäste – mit etwa dem Text, den ich von der Zentrale bekommen hatte: »Da es in Tsukiji vor kurzem zu einer Explosion gekommen ist, müssen wir vorübergehend hier halten. Sobald uns die Ursache des Unfalls bekannt ist, werden wir Sie in Kenntnis setzen. Bis dahin bitten wir Sie um etwas Geduld.«
Während des Stops in Kodemmacho ließen wir die Türen offen. Ich verließ meine Kabine und stellte mich zur Sicherheit auf den Bahnsteig, um Unvorhergesehenes im Blick zu haben.
Mehrere Fahrgäste fragten mich, wie lange es noch dauern würde. Da ich keine genaueren Informationen hatte, konnte ich ihnen nur sagen, dass es vermutlich ein bisschen länger dauern würde, da es anscheinend ja eine Explosion gegeben hatte.
Da morgens in Kodemmacho hauptsächlich Fahrgäste aussteigen, aber niemand zusteigt, war der Bahnsteig fast leer. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir standen; ich schätze, zwanzig Minuten.
Mittlerweile hatte der Zug nach uns zwischen Akihabara und Kodemmacho auf der Strecke halten müssen, da wir im Weg standen.
Ich erhielt aus der Zentrale die Anweisung, meinen Zug zu räumen und weiterzufahren, damit der nachfolgende Zug einfahren konnte. Also machte ich die nächste Durchsage: »Dieser Zug fährt nicht weiter. Alle Fahrgäste werden gebeten auszusteigen. Wir bitten Sie, die Ungelegenheiten zu entschuldigen.« Danach erhielten wir aus der Zentrale die Nachricht, dass es länger dauern würde.
Eine Meldung zu dem, was nun wirklich passiert war, erreichte uns nicht, obwohl wir über Funk ein paar Nachrichten von den Kollegen am Bahnhof Tsukiji aufschnappten, die aber nicht viel Sinn ergaben. Ob es in Tsukiji eine Explosion gegeben hatte und wie viele Menschen verletzt worden waren, war nicht zu ermitteln. Offenbar herrschte große Verwirrung. Einige Fahrgäste seien ohnmächtig geworden, hieß es.
Da an einem U-Bahn-Zug selbst eigentlich kaum etwas explodieren kann, vermutete ich, dass es sich um eine Bombe handelte. Ein Terroranschlag also, nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen konnte.
Nachdem ich meine Durchsage gemacht hatte und die Fahrgäste ausgestiegen waren, überprüften ein paar Kollegen die Wagen. Ich warf einen Blick durch den Zug, soweit ich sehen konnte, und schloss die Türen. Dann fuhren wir ab.
Einige Fahrgäste hatten sich beschwert. »Sie können uns doch nicht einfach hier aussteigen lassen!« Wir entschuldigten uns und erklärten ihnen, dass hinter uns ein Zug warte, dessen Fahrgäste auch aussteigen müssten.
Wir hielten in einem Tunnel zwischen Kodemmacho und Ningyocho, an Bord waren nur noch der Fahrer und ich. Ich schritt den gesamten Zug ab und inspizierte ihn, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken.
Nur hatte ich irgendwie doch das Gefühl, dass mit dem Zug etwas nicht stimmte. Die Züge haben einen typischen Geruch, und nach dem zweiten und dritten Wagen spürte ich, dass irgendetwas anders war. Nein, eigentlich kein seltsamer Geruch, es war nur so ein Eindruck.
In den Bahnen riecht es nach Schweiß, Körperausdünstungen, Kleidern usw. Wenn man jeden Tag fährt, kennt man den typischen Geruch eines Zuges und merkt, wenn er sich plötzlich verändert hat. Instinktiv oder so.
Wir warteten dort etwa dreißig Minuten. Über Funk konnte ich die ganzen Gespräche zwischen der Zentrale und den Stationen mithören. Inzwischen hatte sich herausgestellt, dass gar keine Explosion stattgefunden hatte. Allmählich änderte sich der Inhalt der Gespräche.
Die Aufforderung, Angehörige des Personals mit gesundheitlichen Beschwerden sollten sich bitte melden, erging über Funk, aber mir war ja noch nicht schlecht.
Mittlerweile herrschte in Kodemmacho schon Chaos, aber davon hatte ich keine Ahnung. Während wir im Bahnhof standen und die Fahrgäste zum Aussteigen aufforderten, war mir nichts Außergewöhnliches aufgefallen. Die Schaffnerkabine ist ganz hinten, und die Sarin-Opfer waren ziemlich weit vorne. Der Abstand betrug ungefähr hundert Meter. Ich hätte es aber auf jeden Fall bemerkt, wenn jemand auf dem Bahnsteig umgekippt wäre, denn ich stand ja direkt da und hatte ihn die ganze Zeit im Auge, bis wir die Türen schlossen und aus dem Bahnhof fuhren.
Kurz nach der
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