Unterholz: Alpenkrimi (German Edition)
Pässe?«, fragte Dilip Advani.
Alle nickten und befingerten ihre nagelneuen Reisepapiere. Gute Arbeit. Mit einem tadellosen Pass und mit einem freundlichen Gesicht kam man überall auf der Welt durch.
»Hat sich jeder sämtliche Daten eingeprägt?«
Wieder nickten alle, warfen noch einen letzten Blick auf den Plan. Sie hatten alles besprochen. Sie hatten alles im Kopf.
»Dann auf eine gute Reise!«
Pratap Prakash nahm die Wanderkarte, hielt sie bedeutungsvoll hoch, zerriss sie und warf sie in das offene Feuer des rauchenden alten Ofens, der neben dem Tisch stand. Nachdenklich betrachteten die drei Männer aus Mumbai den Untergang des Werdenfelser Landes im Maßstab 1 : 10000.
6
In der n’koga-Sprache gibt es etwa sechzig verschiedene Bedeutungen für das Wort Unterholz. T’t’k’har kann Gehölz bedeuten, aber auch Erde, Zunge, Mann, Frau, Zweitgeborener, Hölle, Löffel, das Unbekannte, Vorfreude, Erschöpfung, Föhn, Beilage, Stipendium, Entfleischung, Kiste, Windröschen – um nur die wichtigsten zu nennen.
»Ich glaube, wir sollten jetzt langsam über das Finanzielle reden.«
»Ja, das denke ich auch.«
»Also, was stellen Sie sich vor?
»Ich habe mal was von zwanzigtausend gehört.«
»Zwanzigtausend, das klingt spannend.«
»Was ist denn Ihr Vorschlag?«
»Sag ich doch: Zwanzigtausend klingt spannend.«
»Eines muss aber klar sein: Mehr als zwanzigtausend kann ich nicht zahlen.«
Marlene Schultheiss war gestern weisungsgemäß Punkt elf Uhr nachts nochmals vor der Philomena-Bar in der Kaiserstraße erschienen, dort war ihr wieder ein Zettel in die Tasche gesteckt worden, ohne dass sie es bemerkt hatte. Es war ein Computerausdruck. Sie war für den nächsten Tag in die Massageabteilung eines Fitnesscenters bestellt worden, sie sollte eine Reisetasche mit dem Nötigsten mitbringen, denn vielleicht wäre es erforderlich, eine Nacht wegzubleiben. Kein Wort zu Dritten, sonst würde alles sehr ungünstig für sie ausgehen. Wenn sie sich alles eingeprägt hätte, sollte sie das Blatt zerknüllen und es in einen bestimmten Papierkorb in der Kaiserstraße werfen.
Jetzt, einen Tag später, lag Marlene Schultheiss bäuchlings auf der Massagebank, über ihren Kopf war ein großes weißes Handtuch ausgebreitet. Am Anfang hatten sie knochige, beherzt zupackende Hände massiert, dann auf einmal waren es andere Hände gewesen. Und es war eine andere Stimme gewesen. Eine geflüsterte Stimme. Marlene wusste nicht, ob sie zu einer Frau oder einem Mann gehörte, ob die Stimme alt oder jung war, nicht einmal die Nationalität konnte sie bei dem Flüstern ausmachen. Bei dem letzten Satz hatte sie unwillkürlich den Kopf gehoben.
»Scht!«, fauchte die Flüsterstimme, und sie spürte einen Zangengriff im Genick. »Bloß, dass wir uns richtig verstehen. Machen Sie keinen Unsinn. Bleiben Sie so liegen, wie Sie sind. Lassen Sie das Tuch, wo es ist, versuchen Sie keine Tricks. Wenn unser Gespräch – mit welchem Ergebnis auch immer – beendet ist, wird Xu-Zhimo wieder übernehmen. Sie werden liegen bleiben, solange Sie der Chinese massiert. Dann werden Sie noch weiter liegen bleiben, Sie werden bis tausend zählen, dann erst werden Sie aufstehen und den Raum verlassen. Wenn Sie irgendwelche Dummheiten machen, sind Sie tot.«
Die Hand, die zu der Stimme gehörte, umkreiste ihren Hals, sie griff ihr von vorne an die Kehle, nicht unsanft, nein, das nicht, aber jetzt kam die andere Hand und drückte an eine bestimmte Stelle am Hals.
»Das ist die berühmte Carotis«, wisperte die Stimme, jetzt ganz nahe an ihrem Ohr. »Und Ihre Carotis finde ich überall, ob Sie nun auf der Straße gehen oder ob Sie auf die S-Bahn warten. Ich bin immer hinter Ihnen, merken Sie sich das.«
»Ja, ist schon gut. Sie machen es also? Für zwanzigtausend?«
»Sie wollen es kurz und schmerzlos haben?«
In Marlenes Ekel vor ihrem Mann mischte sich plötzlich eine unangenehm warme Strömung Mitleid.
»Ja, kurz und schmerzlos. Peter soll nicht leiden. Ich will ihn nur nicht mehr sehen.«
Die Flüsterstimme lachte auf. Das lautlose Lachen war gruselig anzuhören. Es folgten einige Massagegriffe. Einige Klopfer auf die Schulterblätter. Einige Walker und Kneter den Rücken hinunter, alles durchaus professionell – der Chinese war allerdings besser gewesen.
»So lobe ich mir die brave Ehefrau. Denkt bis zum Schluss an ihren armen Peter. Peter heißt er also. Kurz und schmerzlos, das macht dreitausend, nebenbei gesagt.«
»Nur
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