Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
Vom Netzwerk:
weiter nach, sondern folgte ihm die Treppe hinunter in den Keller von Herrn Goldstein.
    Es mutete sonderbar an, dass noch niemand den Raum als Wohnstätte bezogen hatte, obwohl er seit Wochen leer stand. Sofa, Vorhang, Regale waren verschwunden und es befand sich nichts mehr darin, was an Herrn Goldstein erinnerte, außer dem modrigen Geruch, der auch am Tag seines Todes geherrscht hatte, als ich zum ersten und einzigen Mal hier unten gewesen war.
    »Bist du sicher, dass wir hier nicht in der Falle sitzen?«, flüsterte ich.
    »In die Keller gehen sie nicht.« Im schwachen Oberlicht des Kellerfensters konnte ich nur Gustavs Umrisse erkennen. »Sie wollen nicht riskieren, dass jemand auf sie schießt.«
    Scheinbar unbesorgt lehnte er sich an die Wand. Durch das Oberlicht fielen wechselnde Schatten und wir hörten die Schritte und Rufe auf der Straße über uns.
    Plötzlich sagte Gustav: »Ich war auf eurer Insel.«
    Mein Atem stockte.
    »Immer wenn der Alte mich beim Fischen braucht, komme ich ein paar Tage nicht. Hast du bestimmt gemerkt.«
    »Ja«, behauptete ich, obwohl mir erst jetzt auffiel, dass ich Gustav zuletzt seltener gesehen hatte.
    »Sieht schlimm aus bei euch. Im Hafen Schiffswracks, wohin man sieht, bis aufs Land hat’s die Boote geschleudert. Quer darüber ein riesiger Molenkran. Es gibt eine Art Fahrrinne zum alten U-Boot-Anleger, aber die muss man genau kennen wegen der Blindgänger, die im Wasser liegen. Wir konnten auch erst am zweiten Tag anlegen, weil die Tommys da waren.«
    »Ihr wart an Land?«, flüsterte ich.
    »Was man noch Land nennen kan n … ein Bombenkrater neben dem anderen. Wenn du glaubst, du hast einen Weg entdeckt, stehst du zwanzig Meter weiter vor dem nächsten Trichter.«
    »Man kann durch den Stollen«, platzte ich heraus. »Wenn du vom Hafen den Schienen der Lorenbahn folgst, kannst du den Weg nicht verfehlen. Die Inselbesatzung hat den vorderen Teil Raumanlage genannt, sie hatten dort ihre Kommando- und Versorgungszentrale. Von überall gibt es Treppen und Ausgänge ins Oberlan d …«
    »Wir haben es über den Nordoststrand versucht. Der große Bunkeraufgang im Felsen.«
    »Die Spirale.« Mir wurde ein wenig flau, ich hätte mich gern gesetzt und lehnte mich stattdessen wie Gustav an die Wand.
    »Wir haben vom Hafen fast eine Stunde gebraucht, dabei sind es höchstens zwei Kilometer«, erzählte er. »Es sieht aus wie Hamburg nach der Operation Gomorrha. Wusste gar nicht, wie weit wir hier schon sind mit dem Aufräumen! Im Unterland gibt es nur noch ein intaktes Gebäude, mein Alter sagt, das war die Biologische Anstalt.«
    »Da hat mein Vater gearbeite t …«
    »Im Oberland waren wir erst gar nicht. Vom Strand aus siehst du diese ganzen Hotelruinen direkt am Klippenran d … als würden sie jeden Augenblick herunterfallen! Da oben kann auch nicht mehr viel sein.«
    »Sie standen nicht immer direkt am Klippenrand«, antwortete ich leise. »Die Bomben haben den Felsen an einigen Stellen einfach weggesprengt.«
    »Aber ihr saßt unten im Bunker und wart sicher.« Ich hörte es schaben, als Gustav sich an der Wand den Rücken kratzte. »Wir hatten Taschenlampen dabei, aber es war trotzdem saumäßig ungemütlich. Liegt eine Menge von eurem Zeug auf dem Boden herum, Klamotten, Babyflaschen, kaputte Koffer. Mein Alter sagt, das ist alles freies Beutegut.«
    »Das glaubst auch nur du!«, ärgerte ich mich nun doch.
    »Nein, es stimmt, die Tommys haben alles, was auf der Insel geblieben ist, freigegeben, aber was von Wert war, ist natürlich längst weg. Man kann sich vorstellen, was da los war. Die Schatzinsel! Komisch eigentlich, wo ihr alle noch am Leben sei d …«
    »Ja, verdammt komisch«, unterbrach ich ihn wütend.
    »Wir haben ein paar Armaturen von Waschtischen abmontiert. Glaub bloß nicht, ich hätte jetzt Sachen von dir in meiner Koje! Ich erzähle dir das nur, wei l …«
    Er stockte. Ich lehnte an der Wand und schaute zum Oberlicht hinauf, hinter dem es ruhig geworden war. Die Razzia war zu Ende.
    »An dem Tag, als die Tommys auf der Insel ware n …«
    »Komm, lass uns wieder raufgehen«, sagte ich. Ich hatte plötzlich das Gefühl, kein einziges Wort mehr ertragen zu können.
    »Sie waren mit zwei Schiffen da, aber sie haben nichts geholt, sie haben Kisten an Land geschleppt. Stundenlang, wir konnten sie vom Wasser aus sehen. Eine Kiste nach der anderen.«
    »Vielleicht fangen sie endlich mit dem Wiederaufbau an!« Etwas begann in meinem Bauch zu flattern, ein

Weitere Kostenlose Bücher