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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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Küche und steckte es auf einen Spieß!
    Mr s Musgrave warf in kleinen Abständen Blicke zu uns hinein und man konnte erleben, wie sie sich entspannte, was zum Teil an unserer voranschreitenden Arbeit lag, zum Teil an ihrem voranschreitenden Konsum von Sherry. Musik und gut gelaunte englische Rufe schallten durch Haus und Garten; die Tommys rollten Teppiche auf und brachten sich in Stimmung für ihr Fest. Mem wurde ein wenig fahrig, als sie es hörte, und warf Blicke zur verschlossenen Tür, als wartete sie auf etwas. Auf einmal tat sie mir leid. Ich stellte mir vor, wie sie in ihrem hübschen Sommerkleid als Gast über den Rasen schwebte, anstatt schwitzend in der Küche über dem Herd.
    Tanzen werde ich nie können, schoss es mir durch den Kopf, und obwohl ich es noch nie ausprobiert hatte, es mir also gar nicht fehlen konnte, wühlte sich der Gedanke in all seiner bitteren Konsequenz auf einmal tief in mich hinein. Ich würde immer auf der Bank sitzen, wenn meine Freundinnen tanzten, ich würde auf der Bank sitzen und ihre Handtaschen halten!
    Es war eine so demütigende Vorstellung, dass Mems enttäuschtes Gesicht mich schon wieder zu ärgern begann. Sie musste doch nur darauf warten, dass Foor zurückkam! Ein Jahr, vielleicht zwei, dann würde auch sie tanzen, während der Blick in meine eigene Zukunft deutlich trübseliger aussah: Ich würde nie in der Lage sein, jemandem auch nur einen Korb zu geben.
    »Frau Sievers!«, platzte die Wranitzky unvermittelt heraus. »Ich kann nicht mehr.«
    Sie ließ ihr Schälmesser sinken, Tränen schossen ihr in die Augen. »Ich weiß, wir sollen nicht«, stieß sie hervor. »Aber ich esse jetzt ein Stück Tomate.«
    Ohne den Blick von meiner Mutter zu wenden, griff sie blindlings in die Schüssel, die Henry mit mathematisch korrekten Tomatenachteln gefüllt hatte, bekam eine Handvoll Gemüse zu fassen und stopfte es in den Mund. Roter Saft und Speichel troffen ihr übers Kinn, während sie schluckte, schlang und schmatzte. Hastig wischte sie mit dem Ärmel darüber und griff erneut zu.
    »Langsam, Frau Wranitzky, nicht so viel, das bekommt Ihnen nicht!«, warnte Mem, lief zur Tür und blickte besorgt hinaus, aber zum Glück war Mr s Musgrave gerade nicht auf dem Weg zu uns. »Frau Wranitzky!«, zischte Mem. »Bitte!«
    Worauf die Wranitzky die Tomaten stehen ließ, doch nur um sich über die Pellkartoffeln herzumachen. »Mutter«, flehte Mem und warf einen weiteren ängstlichen Blick in den Flur.
    Ooti griff energisch an der Wranitzky vorbei in den Topf und nahm zwei Kartoffeln heraus.
    »Die essen Sie jetzt, und zwar langsam«, befahl sie und schob den Topf außer Reichweite. »Wir anderen arbeiten in Ruhe weiter. Es ist überhaupt nichts passiert. Hier wird niemand die Kartoffeln nachzählen, Wilma.«
    »Es tut mir leid, tut mir leid, tut mir leid«, schluchzte die Wranitzky, während sie vergeblich versuchte, die Kartoffeln in kleinen Stücken zu essen und gleichzeitig von dem Tuch Gebrauch zu machen, das meine Mutter ihr reichte, um das Gesicht abzutrocknen.
    »Es ist nichts passiert«, beteuerte auch Mem und setzte sich ihr gegenüber. »Bitte hören Sie auf zu weinen, Frau Wranitzky, jeden Moment kann Mr s Musgrav e …«
    Der Wranitzky traten die Augen hervor und der Tiefe ihres Körpers entrang sich ein enormer Laut, der an eine Klosettpumpe erinnerte.
    »Nein!«, schrie Mem unterdrückt und die Wranitzky krümmte sich noch, um das Schlimmste zu verhindern, aber zu spät, man konnte beobachten, wie eine Welle durch ihren ausgemergelten Leib rollte. Mem und Ooti sprangen auf, die eine griff nach einem leeren Eimer, die andere nach der Wranitzky; Henry und ich, das muss leider gesagt werden, sprangen nur weg vom Tisch.
    »Oh my jolly«, bemerkte Captain Sullavan in der Tür.
    Die Wranitzky hätte nicht zu flüchten brauchen. Der Captain petzte nich t – weder dass eine von uns unerlaubt aus den Schüsseln für die Gartenparty gegessen noch dass ihr überrumpelter Magen die Speise postwendend hatte zurückgehen lassen. Er begab sich sogar in die Kammer, um Handfeger und Wischlappen zu holen.
    »Don’t worry, Wilma«, sagte er, als er zurückkam, und legte Mem tröstend die Hand auf den Rücken.
    »I’m sorry, Colin«, erwiderte Mem zerknirscht. »I should have known.«
    Auf Ootis und Henrys gefurchte Stirn malte sich dasselbe Wort: Coli n …?
    Captain Sullavan nahm alle Schuld auf sich. »Hungrige Deutsche in unsere Küche zu setzen, ohne ihnen etwas anzubieten, war

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