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Unterland

Unterland

Titel: Unterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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abzuzeichnen begannen und ich an Wims Stelle damit nicht unbedingt aus dem Haus gegangen wäre.
    »Das scheint der Tag der Razzien zu sein«, meinte er, bemüht, seiner Stimme einen festen Klang zu verleihen. »Die Tommys untersuchen Frauen zwangsweise auf Geschlechtskrankheiten, wenn sie sie an bestimmten Orten erwischen. Dann können sie schon mal ein paar Tage verschwinden. Autsch!«
    »Entschuldigung«, murmelte ich und überlegte, ob ich mich, wenn ich fertig war, vielleicht irgendwo verstecken sollte wegen all der peinlichen Gedanken, die mir durch den Kopf ginge n – etwa, ob Wim etwas dagegen haben würde, wenn ich das Handtuch einfach wegließ.
    Aber dann? Weiter, leerer Raum.
    »Was bringt Mütter auf die Idee, sie wüssten alles über ihre Kinder?«, ärgerte sich Wim. »Wenn sie das glauben, sind sie selbst schuld, aber nein, sie gehen auf unbeteiligte Dritte los!«
    »Der Bote ist immer der Dumme«, bestätigte ich und merkte, wie mein Herz schon wieder langsamer schlug, denn Wim fand die Situation offensichtlich nicht bemerkenswert. Ich kam mir ein wenig blöd vor, als ich weiter an ihm herumtupft e – verlegen, enttäuscht und gleichzeitig erleichtert.
    Ich dachte: Eigentlich ist alles doch ganz schön zwischen uns, wie es ist!
    Als die Wranitzky und Ooti in die Küche zurückkamen, hielt Wim das nasse Handtuch selbst und drückte seine linke Gesichtshälfte hinein, und die beiden bedauerten ihn wortreich, obwohl Ooti anzusehen war, dass sie noch nicht hinweg war über das böse Wort Geschlechtskrankheiten .
    »So ein Theater«, sagte die Wranitzky kopfschüttelnd. »Zwei Dutzend Russen sind über die Mädel rüber, was soll die denn noch schrecken? Das ist heutzutage eine genauso respektable Art, Geld zu verdienen, wie alles andere. Hauptsache, man hat was zu beißen.«
    »Frau Wranitzky!« Ooti schnappte nach Luft.
    »Ausgerechnet die Bolle jammert um ihre Ehre!« Die Wranitzky lachte schrill. »Aufgeknüpft haben sie ihn, der ganze Ort musste zusehen. Heinrich Bolle war unser Nazi-Bürgermeister, sie die Leiterin der NS-Frauenschaft, die Mädel BDM-Führerinnen mit lauter Blechgedöns auf der Brust. Wenn die durch den Ort gingen, hat’s nur so gebimmelt. Ich dachte, mich tritt ein Pferd, als die hier durch die Tür kamen.«
    »Frau Wranitzky«, wiederholte Ooti warnend. »Nicht vor den Kinder n …!«
    Die Wranitzky warf einen kurzen Blick auf Wim und mich. »Machen Sie sich nichts vor, Frau Sievers. Das sind keine Kinder und das werden auch keine mehr werden. Seien Sie bloß froh«, fügte sie mit einem bitteren Blick nach oben hinzu, wo das nunmehr gedämpfte Klagen Frau Bolles wieder von dem fordernden Geheul der kleinen Wranitzkys übertönt wurde. »Das hier haben sie uns nicht erzählt in der Frauenschaft.«
    Ihre schweren, müden Schritte entfernten sich die Treppe hinauf.
    »Ooti«, sagte ich leise, »die Tommys bringen Sprengstoff nach Helgoland.«
    Ihre Augen liefen über. »Ich weiß es schon, Kleines.«

14

    Frau Larsen hatte Recht: Stützte ich mein Gewicht auf das rechte Knie und ließ das linke Bein angewinkelt stehen, bereitete es mir keine Probleme, Unkraut zu jäten oder Käfer aus dem Salat zu picken. Ich spürte die Prothese nur beim Aufstehen; ich solle, befahl Frau Larsen, dennoch regelmäßig aus dem Beet gehen, um die Muskeln beider Beine zu lockern.
    »Mein Bruder konnte mit seinem Holzbein sämtliche Arbeiten auf dem Hof tun«, hielt sie mir vor, als ich jammerte, dass nun auch noch mein rechtes Knie wehtäte. »Es wird Zeit, dass dir mal einer was abverlangt! Unsere Knie tun beim Jäten auch weh.«
    Ihr Bruder war als Kind unter ein Fuhrwerk geraten, aber das hatte ihn nicht davon abgehalten, Bauer zu werden. Er sei sogar mit seinen Schwestern seilgesprungen, behauptete Frau Larsen, es habe ihn einfach niemand gefragt, ob er das überhaupt könne.
    »Wo ist denn Ihr Bruder jetzt?«, wollte ich wissen.
    »Der kommt nicht zurück«, sagte sie knap p – eine Antwort, nach der man, wie jeder wusste, nicht weiterfragte.
    Leni guckte böse, wenn ich mit meinem angewinkelten linken Bein versehentlich auf eine Pflanze trat, was ihrer Meinung nach mehr Schaden anrichtete als mein ganzes vorheriges Nichtstun, aber gesagt hatte sie es nur ein einziges Mal. Frau Larsen hatte sie sofort zurechtgewiesen: »Und du hältst die Klappe, Fräulein.«
    Ich war wie immer auf Leni zugegangen, als wir uns nach unserer Prügelei im Garten begegnet waren. »Ah, gut, dein Rock ist wieder

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