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Unterm Rad

Unterm Rad

Titel: Unterm Rad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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schlechten Lateinern und guten Rechnern zusammengetan hatten, um die Früchte
    genossenschaftlicher Arbeit zu genießen. Es gab auch Freundschaften, deren Fundament eine andere Art von Vertrag und Gütergemeinschaft bildete. So hatte der vielbeneidete
    Schinkenbesitzer seine ergänzende Hälfte an einem Gärtnerssohn aus Stammheim gefunden, der seinen Kastenboden voll schöner Äpfel liegen hatte. Er bat einst beim Schinkenessen, da er Durst bekam, jenen um einen Apfel und bot ihm dafür vom Schinken an. Sie setzten sich
    zusammen, ein vorsichtiges Gespräch brachte zutage, daß der Schinken, wenn
    er zu Ende wäre, sogleich ersetzt würde und daß auch der Äpfelbesitzer bis weit ins Frühjahr hinein von den väterlichen Vorräten werde zehren können, und so kam ein solides Verhältnis zustande, das manches idealere und stürmischer geschlossene Bündnis lang überdauerte.
    Nur wenige waren Einspänner geblieben, unter ihnen Lucius, dessen habsüchtige Liebe zur Kunst damals noch in voller Blüte stand.
    Es gab auch ungleiche Paare. Für das ungleichste galten Hermann Heilner und Hans Giebenrath, der Leichtsinnige und der Gewissenhafte, der Dichter und der Streber. Man zählte zwar beide zu den Gescheiten und Begabtesten, aber Heilner genoß den halb spöttisch gemeinten Ruf eines Genies, während der andere im Geruch des Musterknaben stand. Doch ließ man sie ziemlich ungeschoren, da jeder von seiner eigenen Freundschaft in Anspruch genommen war und gern für sich blieb. Über diesen persönlichen Interessen und Erlebnissen kam aber die Schule doch nicht zu kurz. Sie war vielmehr der große Satz und Rhythmus, neben welchem Luciussens Musik, Heilners Dichterei samt allen Bündnissen, Händeln und gelegentlichen Raufereien nur tändelnd als kleine Separatbelustigungen dahinliefen. Vor allem gab das Hebräische zu tun. Die seltsame, uralte Sprache Jehovas, ein spröder, verdorrter und doch noch geheimnisvoll lebendiger Baum, wuchs fremdartig, knorrig und rätselhaft vor den Augen der Jünglinge auf, durch wunderliche Verästungen auffallend und durch merkwürdig gefärbte und duftende Blüten überraschend. In seinen Zweigen, Höhlungen und Wurzeln hausten, schauerlich oder freundlich, tausendjährige Geister: phantastisch schreckhafte Drachen, naive liebliche Märchen, faltig ernste, trockene Greisenköpfe neben schönen Knaben und stilläugigen Mädchen oder streitbaren Frauen. Was in der Lutherbibel fern und traumhaft geklungen hatte, das gewann nun in der rauhen, echten Sprache Blut und Stimme und ein veraltet schwerfälliges, aber zähes und unheimliches Leben. So erschien es wenigstens Heilner, der den ganzen Pentateuch täglich und stündlich verfluchte und doch mehr Leben und Seele in ihm fand und aus ihm sog als mancher geduldige Lerner, der alle Vokabeln wußte und keine Lesefehler mehr machte. Daneben das Neue Testament, wo es zarter, lichter und innerlicher zuging und dessen Sprache zwar weniger alt und tief und reich, aber von einem jungen, eifrigen und auch träumerischen Geist erfüllt war.
    Und die Odyssee, aus deren kräftig wohllautenden, stark und ebenmäßig dahinströmenden
    Versen gleich einem weißen runden Nixenarm die Kunde und Ahnung eines untergegangenen,
    formklaren und glücklichen Lebens emporstieg, bald fest und greifbar in irgendeinem kräftig umrissenen derben Zuge, bald nur als Traum und schöne Ahnung aus einigen Worten und Versen herausschimmernd. Hieneben verschwanden die Historiker Xenophon und Livius oder standen doch, als mindere Lichter, bescheiden und fast glanzlos beiseite. Hans bemerkte mit Erstaunen, wie für seinen Freund alle Dinge anders aussahen als für ihn. Für Heilner gab es nichts Abstraktes, nichts, was er sich nicht hätte vorstellen und mit Phantasiefarben bemalen können.
    Wo das nicht anging, ließ er alles mit Unlust liegen. Die Mathematik war ihm eine mit hinterlistigen Rätseln beladene Sphinx, deren kühler, böser Blick ihre Opfer bannte, und er wich dem
    Ungeheuer in großem Bogen aus. Die Freundschaft der beiden war ein sonderbares Verhältnis.
    Sie war für Heilner ein Vergnügen und Luxus, eine Bequemlichkeit oder auch eine Laune, für Hans aber war sie bald ein mit Stolz gehüteter Schatz, bald auch eine große, schwer zu tragende Last.
    Bisher hatte Hans die Abendstunden stets zur Arbeit benützt. Jetzt kam es fast alle Tage vor, daß Hermann, wenn er das Büffeln satt hatte, zu ihm herüberkam, ihm das Buch wegzog und ihn in Anspruch nahm.

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