Unterm Strich
Qualifizierung oder Infrastruktur fließt - sondern mit etwa 42 Prozent immer noch in die Subventionierung der Landwirtschaft. Die allenfalls zaghaften Einwendungen gegen diese Fehlorientierung belegen das Ausmaß der Resignation in Brüssel und Straßburg.
Nach der historischen Zäsur 1989/90 war es zweifellos undenkbar, den neuen mittelosteuropäischen Nachbarn einen EU-Beitritt zu verweigern. Das hätte Europa in seiner Spaltung verharren lassen und neue Spannungen provoziert, die vornehmlich die Deutschen in ihrer exponierten geographischen Lage zu spüren bekommen hätten. Die Erweiterung erfolgte indessen zu früh, genauer gesagt, sie wurde nicht mit einer notwendigen institutionellen Reform der EU verknüpft. Wenn ein Klub seine Mitgliederzahl fast verdoppelt, müsste das eigentlich mit einer Änderung seiner Statuten verbunden sein, sonst legen ihn die ursprünglichen Verfahren, Abstimmungsquoren und Besetzungsansprüche irgendwann lahm. Mit mehrjähriger Verspätung wurde mit dem Lissabonner Vertrag von 2009 eine Reform der EU eingeleitet. Man einigte sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, gemessen an den Notwendigkeiten einer schlagkräftigen EU, um nach heftigen Geburtswehen überhaupt etwas vorweisen zu können. Ein Anlass zum Feiern war das Ergebnis nicht.
Weitere Beitrittsinteressenten pochen an die Tür. Ihre Aufnahme würde die Mitgliederzahl spielend auf über 30 treiben und Hoffnungen neuer Kandidaten wecken. Damit ist die Gefahr einer Überdehnung der EU beschrieben. Ihre Arbeitsfähigkeit muss bereits jetzt bezweifelt werden. In einer Zeit, in der sich die EU sammeln müsste, um im globalen Koordinatensystem nicht zum kleinen Karo zu werden, droht ihr ein zunehmendes internes Gefälle, fehlt ihr ein klares politisches Konzept. Personelle Fehlentscheidungen runden das Bild ab.
Festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass die EU zu einem beträchtlichen Teil selbst dafür verantwortlich ist, dass sie aus dem Zentrum des globalen Geschehens verdrängt wurde und sich nur mehr an der Peripherie des Kraftfeldes wiederfindet. »Die Hoffnung auf eine stärkere Rolle Europas im multipolaren Powerplay entweicht und hinterlässt ein Machtvakuum«, schreibt Roland Tichy in der Wirtschaftswoche. So ist es. In dieses Vakuum drängen andere. Sie werden Europa den Rang streitig machen.
Die Schwäche der Europäischen Union steht in merkwürdigem Gegensatz zur Stärke Deutschlands, das erst kürzlich von China als Exportweltmeister verdrängt wurde. Die Zusammenhänge sind äußerst kompliziert, ihre Interpretation führt insbesondere zwischen Berlin und Paris immer häufiger zu heftigem Streit. In den letzten Jahren vor Ausbruch der Krise blieb die Weltwirtschaft vor allem deshalb in Schwung, weil einige Länder mit kreditfinanzierter Nachfrage (und daraus resultierenden Leistungsbilanzdefiziten) das Schwungrad immer wieder auf Touren brachten. Davon profitierten besonders die traditionellen Medaillenträger des Exports, also Deutschland, Japan und China.
Allein die Nachfrage aus den USA ließ die deutsche Exportwirtschaft frohlocken; in den Leistungsbilanzen unserer vier wichtigsten Handelspartner, Frankreich, die USA, die Niederlande und Großbritannien, spiegeln sich 43 Prozent des deutschen Exportüberschusses wider. Vieles deutet allerdings darauf hin, dass diese Länder den Turbo ihrer Auslandsnachfrage herunterfahren müssen und andere Länder diesen Ausfall nicht voll kompensieren werden. Mit der Immobilienblase ist auch der private Konsumrausch in den USA geplatzt; Ernüchterung macht sich breit, die Sparquote zieht in den USA ebenso wie in anderen Ländern wegen der wirtschaftlichen Unsicherheiten an.
Kein anderes Land in der Topliga ist so exportabhängig wie Deutschland. Wir generieren 47 Prozent unserer Wirtschaftsleistung aus Exporten (2008). Entgegen einer verbreiteten Annahme sind die USA mit 13 Prozent und Japan mit 17,5 Prozent weit weniger exportorientiert als wir (2008). Die Kehrseite der deutschen Exportüberschüsse sind Leistungs- und Handelsbilanzdefizite unserer Partner. Die Kritik an Deutschland - insbesondere aus der Eurozone - wächst: Wir Deutschen seien für diese Ungleichgewichte verantwortlich, weil wir nicht gleichzeitig über unsere inländische Kaufkraft die Importnachfrage ankurbeln und für einen Ausgleich sorgen.
Abgesehen davon, dass solche Ermahnungen durchaus von Versäumnissen und Fehlentwicklungen in den Absenderstaaten ablenken, schimmert in ihnen auch die
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