Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwegs in der Weltgeschichte

Unterwegs in der Weltgeschichte

Titel: Unterwegs in der Weltgeschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans-Christian Huf
Vom Netzwerk:
durchfüttert. Sondern vor allem dadurch, dass er ohne jede Hemmung sein vernünftiges Regierungskonzept zum Maßstab aller Dinge macht, sprich: durch kostspielige Kriege seine absolute Macht über alle Grenzen hinweg auszudehnen sucht. Und spätestens zum Ende seines Lebens 1715 scheitert. Ludwigs allzu hochfliegende Vision einer absoluten Vormachtstellung Frankreichs in Europa wird nie Realität.
    Die zweite Konsequenz bringt politische Unruhe und gesellschaftliche Feuersbrünste, die, nur kurzzeitig gelöscht, immer wieder aufflackern und durch das gesamte Jahrhundert schwelen: Im Rückzugsgefecht der Religionen bleibt die Frage unbeantwortet, warum und inwieweit die göttliche Offenbarung jetzt noch Autorität besitzt. Die Vernunft soll regieren, gewiss. Aber die Kirche will es doch auch. Und Gott ist in dieser Zeit noch längst nicht »tot«, wie es im Hinblick auf das 19. Jahrhundert Friedrich Nietzsche behaupten wird. Spätestens da, wo die Vernunft nicht mehr weiterweiß, kommt in diesen Tagen immer noch Gott ins Spiel. Oft freilich mit recht unklaren und wankelmütigen Absichtserklärungen. Denn was denn nun wirklich gottgewollt sei, wird im weiteren Verlauf der Weltgeschichte sehr unterschiedlich beantwortet werden, je nach Standpunkt und Truppenstärke.
    So ist es kein Wunder, wenn sich die zwei bedeutenden Machtmenschen dieser Zeit, die sich gegensätzlicher kaum denken lassen, doch in einem Punkt gleichen. Beide berufen sich gleichermaßen bei all ihrem Tun auf den Willen Gottes: der Franzose Ludwig XIV. und der Engländer Cromwell.
    Oliver Cromwell (1599–1658) ist ein beinharter Puritaner, ein »Reiner«, wie sich die führenden englischen Protestanten selbstbewusst nennen. Tieffromm, willensstark, arbeitsam und schlicht, aber durch den langen Kampf der Religionen auf Unerbittlichkeit und Rücksichtslosigkeit getrimmt. Ihm ist jeder Luxus und jede Adelsschwelgerei ein Dorn im Auge. Nicht nur gegen die katholischen Iren, die benachbarten Glaubensfeinde, geht Cromwell mit größter »gottgewollter Härte« vor, sondern auch gegen die schottischen Presbyterianer, die Gemeindeältesten, die den vielen schottischen Gemeinden nach urchristlichem Vorbild vorstehen, aber in ihrer Eigenständigkeit sowohl der herrschenden anglikanischen Staatskirche missfallen wie auch Cromwell.
    Cromwell handelt mit der Entschlossenheit eines Mannes, der Gott höchstpersönlich im Gepäck hat. Als Führer des englischen Parlaments lässt er 1649 sogar den auf königliche Rechte pochenden Karl I. kurzerhand köpfen. König Karl darf immerhin für sich in Anspruch nehmen, der erste Herrscher Europas gewesen zu sein, der vor einem ordentlichen Gericht nach nachvollziehbaren, rationalen Gesetzen zum Tode verurteilt wurde. Die wirklich bewiesene Anklage lautete, Karl habe vorsätzlich gegen die Magna Charta von 1215 verstoßen, mit der sich das englische Königshaus verpflichtet hatte, bei allen Entscheidungen dem englischen Adel immer ein Mitspracherecht zu lassen. Karl hatte sich darüber hinweggesetzt. Wahrscheinlich hatte er zu sehr mit französischen Zuständen geliebäugelt und den puritanisch befeuerten Widerstand seiner Landsleute königlich unterschätzt.
    Aber Karl hätte es wissen können und müssen: Angesichts der Stärke des englischen Adels, angesichts des angestammten parlamentarischen Rechts auf Steuererhebungen und angesichts des Hardliners Cromwell war in England ein Absolutismus à la française von vornherein nicht realisierbar. Der Kampf zwischen Königtum und Parlament geht hier zugunsten des Letzteren aus, und spätestens mit der parlamentarisch verfügten Ernennung des fortschrittlichen Statthalters der Niederlande Wilhelm III. von Oranien zum englischen König im Jahre 1688 ist das Kapitel »Absolutismus« in England endgültig abgehakt.
    Die Habeas-Corpus-Akte aus dem Jahre 1679, so genannt nach den Anfangsworten dieses Gesetzes, bot jedem Bürger soliden Schutz vor der willkürlichen Verfolgung durch den Herrscher, indem genaue Regeln für Verhaftungen und Sicherungsverwahrungen aufgestellt wurden, wie sie noch heute in der englischen Rechtsprechung gelten. In Frankreich hingegen konnte Sonnenkönig Ludwig seine Untertanen ganz nach Belieben einkerkern und hinrichten, ohne dafür irgendwie Rechenschaft leisten zu müssen. In England bedeutete spätestens die

Weitere Kostenlose Bücher