Unterwegs in der Weltgeschichte
Hatte man bis dahin die Autorität der antiken Schriftsteller und Philosophen als ebenso unumstöÃlich anerkannt wie die Worte der Bibel, so trat nun plötzlich ein Mann auf den Plan, der mit der Kraft der Vernunft alles Bisherige infrage stellte und mit den Gewohnheiten seiner Zeit brach: der Franzose René Descartes (1596â1650). Er war ein wahrer Feinschmecker des Geistes.
Für Descartes bestand der neue Ansatz vor allem in einer revolutionären Forderung: »Wenn wir nur das als wahr anerkennen, was mit Sicherheit erkannt ist, uns allem anderen gegenüber aber skeptisch verhalten, so können wir nicht irren, sondern wir gewinnen denkend ein richtiges Bild von der Welt.« Ein Satz, der in dieser Epoche eine Wirkung entfaltete wie eine Operation am offenen Gehirn.
Denn das genau war es, worum das 17. Jahrhundert rang: um ein neues Bild von der Welt und den Menschen. Plötzlich stand in Zweifel, was die Geschichte im Laufe der Zeit an überkommenen Gewissheiten herangespült hatte. Jetzt wurde nachgefragt, nachgehakt. Die Traditionen wurden seziert wie Organismen auf den Tischen der Naturwissenschaftler. Descartes und seine Anhänger entdeckten das Recht am eigenen Kopf.
Was uns heute als ganz selbstverständlich erscheint, bedeutete damals Kampf. Und es war kein leichter. Ein Kampf gegen jahrtausendealtes Beharrungsvermögen. Gegen das zutiefst menschliche Bedürfnis, das wir allerdings auch kennen: dass doch bitte alles so bleiben möge, wie es ist. Damals war das allgemeine Lebensgefühl der Menschen solide eingegossen in eine Botschaft, die sich längst zu einer mächtigen Institution und festen WahrheitsgröÃe gemausert hatte: die Botschaft der Bibel, die längst zur Kirche geworden war.
Einer, der etwa zur gleichen Zeit wie Descartes den Kampf gegen diese beherrschende Macht aufnimmt, ist der Sternenforscher und Mathematiker Galileo Galilei (1564â1642). Er sucht die Konfrontation mit den alten Dogmen keineswegs vorsätzlich. Ganz im Gegenteil: Durch jahrelange Berechnungen im stillen Kämmerlein hat er ganz sachlich festgestellt, dass sich die Erde um die Sonne bewegt â und nicht andersherum. Das hatte übrigens hundert Jahre zuvor ein deutsch-polnischer Sterngucker namens Kopernikus auch schon herausgefunden, ohne es freilich zu Lebzeiten zu wagen, derart Ketzerisches in die Ãffentlichkeit zu tragen. Die nach seinem Tode gedruckten Forschungsergebnisse wanderten postwendend auf den kirchlichen Index der verbotenen Bücher. Denn in der Bibel gab es nun mal diese Stelle, im Buch Josua 10, 12, wo Gott der Sonne und dem Mond befiehlt stillzustehen. »Aber wie kann Gott denn der Sonne Stillstand befehlen, wenn sie ohnehin schon im Zentrum der Planeten stillsteht, wie es Galilei behauptet?«, so die berechtigte Frage der bibelfesten Wahrheitshüter. »Lügt Gott oder lügt Galilei?« Vor das Gericht der heiligen Inquisition gezerrt und mit dem Tode bedroht, nahm der bald siebzigjährige Wissenschaftler dann auch im Jahre 1633 seine »furchtbare Irrlehre« zurück.
Aber die Niederlage Galileis konnte den Siegeszug des neuen Zeitgeschmacks nicht stoppen. Und die Meinungsführerschaft der Kirche in Sachen Naturkunde und Welterklärung bröckelt in diesem Jahrhundert unaufhaltsam. Die Naturwissenschaft, die bislang hinter Theologie, Philosophie und Bibelkunde nur ein Schattendasein führte, erlebt einen geradezu explosionsartigen Boom. Immer neue bahnbrechende physikalische Erkenntnisse verändern das Weltbild und bringen die Autorität der alten Rezepte ins Wanken. In der Küche der Vernunft brodelt es gewaltig. Die Entwicklung verläuft europaweit und ergreift das gesamte Abendland. In England ist es Francis Bacon (1561â1626), der dazu anregt, durch reine, vorurteilslose Betrachtung der Natur den Dingen auf den Grund zu gehen. Und in Frankreich macht Descartes sogar den Zweifel zum Mittelpunkt seiner Erkenntnis. Nur eine einzige Gewissheit will er anerkennen, nämlich die Realität seines eigenen zweifelnden Seins: »Cogito ergo sum« â Ich denke (indem ich zweifele), also bin ich!
In Italien, damals der Zeit noch immer ein Stückchen voraus, hatte bereits Niccolò Machiavelli (1469â1527) die kühle Vernunft zum politischen Prinzip erhoben. In seinem Leitfaden für Polit-Manager, den er einfach »Der Fürst« nennt, redet er einem eiskalten, vernunftgesteuerten
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