Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
Vom Netzwerk:
rechtzeitig schaffen können und in Chicago sind, lange bevor dieser Mann mit der Eisenbahn angekommen ist.» Okay, mir sollte es recht sein. Es regnete, aber Dean fuhr kein bisschen langsamer. Es war ein sehr schöner Wagen, eine der letzten großen, altmodischen Limousinen, schwarz, ein langer Schlitten mit Weißwandreifen und wahrscheinlich kugelsicheren Fenstern. Die Jesuiten-Boys – von St. Bonaventura – saßen im Fond, glücklich und froh, dass die Reise losging: sie hatten keine Ahnung, wie schnell wir fuhren. Sie versuchten ein Gespräch anzufangen, aber Dean schwieg und zog sein T-Shirt aus und fuhr mit nacktem Oberkörper. «Oh, diese Beverly ist vielleicht ein süßes tolles Mädchen – sie kommt zu mir nach New York –, wir werden heiraten, sobald ich die Scheidung von Camille bekommen habe – alles überschlägt sich, Sal, und wir sind wieder unterwegs! Ja!» Je schneller wir uns von Denver entfernten, um so besser ging es mir, und wir entfernten uns schnell . Es wurde dunkel, als wir bei Junction den Highway verließen und abbogen auf eine unbefestigte Straße, die uns über die düstere Prärie des östlichen Colorado zu Ed Walls Ranch führte, mitten ins Niemandsland der Koyoten. Aber es regnete immer noch, der Wagen war schlammverkrustet, und Dean ging auf hundertzehn runter. Ich sagte, er solle noch langsamer fahren, wir würden sonst ins Schleudern kommen, aber er meinte: «Keine Sorge, Mann, du kennst mich.»
    «Diesmal nicht», sagte ich. «Du fährst wirklich zu schnell.» Er jagte nur so über den glitschigen Schlamm, und in dem Moment, als ich es sagte, kam eine scharfe Kurve nach links, Dean riss das Steuer herum, doch er schaffte es nicht, und der schwere Wagen rutschte, entsetzlich schwankend, in den Dreck.
    «Pass auf jetzt!», rief Dean unbekümmert und rang einen Moment lang mit seinem Schutzengel, und dann landeten wir mit dem Heck im Straßengraben, die Nase des Wagens der Straße zugekehrt. Tiefe Stille ringsum. Wir hörten das Pfeifen des Windes. Wir standen mitten in der wilden Prärie. Ein Farmhaus lag einen halben Kilometer weiter an der Straße. Ich hörte nicht auf zu fluchen, so wütend, so sauer war ich auf Dean. Er sagte nichts, zog sich eine Jacke über und stapfte im Regen zu dem Farmhaus hinüber, um Hilfe zu holen.
    «Ist das dein Bruder?», fragten die Jungs auf dem Rücksitz. «Er fährt wie der Teufel, was? Und kann’s mit den Frauen, nach allem, was er erzählt.»
    «Er spinnt», sagte ich, «und ja, er ist mein Bruder.» Dean kam mit dem Farmer auf einem Traktor zurück. Sie hakten Ketten ein, und der Farmer zog uns aus dem Graben. Der Wagen war voller Schlamm, der eine Kotflügel war eingedrückt. Der Farmer verlangte fünf Dollar. Seine Töchter standen im Regen und schauten zu. Die schönste und schüchternste von allen stand abseits versteckt auf dem Feld, und sie hatte allen Grund dazu, denn sie war absolut und definitiv das schönste Mädchen, das Dean und ich je in unserem Leben erblickt hatten. Sie war ungefähr sechzehn und hatte einen Prärieteint wie wilde Rosen, die strahlendsten blauen Augen, das lieblichste Haar, und sie war scheu und flink wie eine Steppenantilope. Sie zuckte jedes Mal zusammen, wenn wir zu ihr hinüberschauten. So stand sie da in dem wilden Wind, der vom Sasketchewan River herüberblies und ihr das Haar zauste und wie einen Schleier aus lebendigen Locken um ihr schönes Gesicht legte. Sie errötete immer mehr.
    Wir gaben dem Farmer, was er verlangte, warfen noch einen letzten Blick nach unserem Engel der Prärie und fuhren weiter, langsamer jetzt, bis es vollends Nacht wurde und Dean meinte, dass Ed Walls Ranch nicht mehr weit sein könne. «Weißt du, so ein Mädchen wie dieses macht mir Angst», sagte ich. «Ich gäbe alles auf und würde mich bedingungslos ausliefern, auf Gedeih und Verderb, und wenn sie mich dann nicht haben wollte, würde ich mich in den tiefsten Abgrund der Welt stürzen.» Die Jesuiten-Boys kicherten. Sie kannten nichts anderes als die abgedroschenen Sprüche von ihrem Ostküsten-College und hatten nichts in ihren Vogelhirnen als eine Menge halbverdauten Thomas von Aquin. Dean und ich beachteten sie nicht. Während wir durch die versumpften Ebenen brausten, erzählte Dean Geschichten aus seiner Cowboy-Zeit; er zeigte uns das Stück der Straße, wo er einen ganzen Vormittag lang geritten war; die Stelle, wo er den Weidezaun geflickt hatte, als wir den wahrhaft unermesslichen Besitz der Walls erreichten,

Weitere Kostenlose Bücher