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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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auf einer Farm arbeite, ließ er mich laufen. Zu dem Rennen kam ich natürlich zu spät. Im darauffolgenden Herbst hab ich das Gleiche noch einmal gemacht, um das Spiel zwischen Notre Dame und California in South Bend, Indiana, zu sehen, und keinerlei Ärger diesmal, und, Sal, ich sage dir, ich hatte nur noch das Geld für die Eintrittskarte, keinen Cent mehr, und auf dem ganzen Weg hin und zurück hatte ich nichts zu essen, gerade nur das, was ich mir von allen möglichen kaputten Typen, die ich unterwegs traf, zusammenschnorren konnte. Aber gleichzeitig lief ich den Mädchen nach. Kein Mensch in den Vereinigten Staaten hat so viel Ärger riskiert, nur um ein Baseballspiel zu sehen.»
    Ich fragte ihn, warum und wieso er damals, 1944, in Los Angeles gewesen sei. «Ich hatte in Arizona gesessen, mit Abstand der schlimmste Knast, den ich von innen gesehen habe. Da musste ich raus, und hab den tollsten Ausbruch meines Lebens hingelegt, wenn wir schon vom Ausbrechen reden: Auf dem Bauch durch den Wald gekrochen, verstehst du, und durch die Sümpfe gewatet, kreuz und quer durch dieses bergige Land. Was mich erwartete, waren Gummiknüppel und Schinderei und Tod durch Unfall, wie man so sagt, darum musste ich raus aus dem Wald und über die Berge und mich von Pfaden und Wegen und Straßen fernhalten. Ich musste meine Sträflingsklamotten loswerden, also klaute ich mir in einer Tankstelle bei Flaggstaff ein Hemd und eine Hose, und zwei Tage später war ich in Los Angeles, angezogen wie ein Tankwart, und marschierte in die erstbeste Tankstelle und kriegte einen Job und beschaffte mir ein Zimmer und änderte meinen Namen (Lee Buliay) und verbrachte ein aufregendes Jahr in L. A., mit einer ganzen Horde von neuen Freunden und ein paar wirklich tollen Mädchen, und dann war Schluss mit dieser Herrlichkeit, als wir eines Abends über den Hollywood Boulevard rollten und ich zu meinem Kumpel sagte, er solle mal das Lenkrad halten, während ich mein Mädchen küsste – ich saß natürlich am Lenkrad –, und der Kerl hörte mich nicht und wir krachten frontal gegen einen Laternenpfahl, zwar nur mit gut dreißig, aber ich hab mir die Nase gebrochen. Du hast ihn ja gesehen, den schiefen griechischen Nasenbogen da oben. Danach ging ich nach Denver und lernte Marylou kennen, in einer Eisdiele in dem Frühling damals. Oh, Mann, sie war erst fünfzehn und lief in engen Jeans rum und wartete nur darauf, dass jemand kam und sie pflückte wie eine Blume. Drei Tage und drei Nächte haben wir ununterbrochen geredet im Ace Hotel, dritter Stock, südöstliches Eckzimmer, heilige Ehrenhalle und ehrwürdiges Museum meiner jungen Jahre – ah, sie war so süß, so jung damals, hm! Aber, he, sieh mal, dort drüben in der Dunkelheit, hepp-hepp, da sitzen die alten Penner vor ihrem Feuerchen am Bahndamm, du glaubst es nicht.» Er war drauf und dran anzuhalten. «Verstehst du, ich weiß nie, ob mein Vater nicht dabei ist.» Ein paar Gestalten torkelten um ein Holzfeuer am Bahngleis. «Ich weiß nie, ob ich nach ihm fragen soll. Er könnte überall sein.» Wir fuhren weiter. Irgendwo in der unermesslich weiten Nacht vor uns oder hinter uns mochte sein Vater im Gebüsch liegen, betrunken, vermutlich Spucke am Kinn, nasse Hosen, Dreck in den Ohren, Schorf auf der Nase, das Haar blutverschmiert, und der Mond schien auf ihn herab.
    Ich legte Dean die Hand auf den Arm. «Vergiss es, Mann. Wir jedenfalls fahren jetzt nach Hause.» New York würde sein festes Zuhause sein – sein Erstes. Er zappelte vor Ungeduld; er konnte es kaum erwarten.
    «Und wenn wir erst in Pennsylvania sind, Sal! Von da an hören wir den schärfsten Ostküsten-Bebop im Radio. Geeyah, roll old boat, roll! » Das phantastische Auto brachte den Wind zum Singen, es ließ die Ebene abrollen wie eine Rolle Papier, ließ den heißen Asphalt mit den besten Empfehlungen hinter sich – ein königliches Schiff. Ich öffnete die Augen und erblickte den breiten Fächer der Morgenröte, der wir entgegenflogen. Deans knochiges Gesicht hing mit steinerner Beharrlichkeit über dem Armaturenbrett.
    «Was denkst du gerade, Alter?»
    «Aaah, aaah, immer nur eines, du weißt schon – Frauen, Frauen, Frauen.»
    Ich schlief ein, und als ich in der trockenen heißen Luft eines Juli-Sonntagmorgens in Iowa erwachte, fuhr Dean noch immer und fuhr mit unvermindertem Tempo dahin; die Maistäler Iowas durchkurvte er mit mindestens hundertdreißig, auf geraden Strecken fuhr er unbeirrbar hundertfünfundachtzig,

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