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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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Wächter der schlafenden Stadt. Punktum.
    Ich legte mich wieder auf mein blechernes Bett und breitete die Arme aus. Es war mir egal, ob über mir Baumwipfel oder offener Himmel waren. Ich sperrte den Mund auf und zog mit tiefen Atemzügen die Atmosphäre des Urwalds ein. Nein, es war keine Luft, niemals, sondern die fühlbare und lebendige Ausdünstung von Bäumen und Sümpfen. Ich konnte nicht mehr einschlafen. Krähende Hähne kündigten die Morgendämmerung irgendwo jenseits der Lichtung an. Noch immer keine Luft, kein Windhauch, kein Tau, nur die lastende Atmosphäre am Wendekreis des Krebses, die uns auf die Erde niederdrückte, wo wir hingehörten und herumwuselten. Kein Schimmer von der Morgendämmerung am Himmel. Plötzlich hörte ich Hunde wütend in der Dunkelheit kläffen, dann hörte ich das leise Klappern von Pferdehufen. Es kam näher und näher. Welcher verrückte nächtliche Reiter mochte das sein? Dann hatte ich eine Erscheinung: Ein wildes Pferd, weiß wie ein Geist, kam auf der Straße angetrabt, direkt auf Dean zu. Hinter ihm jaulten und stritten die Hunde. Ich konnte sie nicht sehen, es waren lausige alte Dschungelköter, aber das Pferd war weiß wie Schnee und riesig und beinahe phosphoreszierend und deutlich zu sehen. Um Dean hatte ich keine Angst. Das Pferd sah ihn und trottete dicht an seinem Kopf vorbei, um dann wie ein Schiff am Auto vorbeizugleiten, leise wiehernd, ehe es, von den Hunden verfolgt, weiter durch den Ort und, klipp-klapp, auf der anderen Seite wieder in den Dschungel trabte, bis ich nur noch den schwachen, allmählich im Wald verhallenden Hufschlag hörte. Die Hunde beruhigten und setzten und leckten sich. Was war das für ein Pferd? Ein Pferd aus einem Mythos, ein Geist, ein Gespenst? Als Dean aufwachte, erzählte ich ihm davon. Er meinte, ich hätte geträumt. Dann erinnerte er sich undeutlich, im Traum ein weißes Pferd gesehen zu haben, und ich sagte ihm, es sei kein Traum gewesen. Auch Stan Shephard wachte allmählich auf. Schon bei der kleinsten Bewegung rann uns wieder der Schweiß. Noch immer war pechschwarze Nacht. «Lasst uns losfahren, damit wir etwas Luft kriegen!», rief ich. «Ich komme um vor Hitze.»
    «Richtig!» Wir brausten aus der Stadt hinaus und, mit flatterndem Haar, weiter auf dem verrückten Highway. In grauem Nebeldunst kam die Morgendämmerung rasch näher und enthüllte zu beiden Seiten der Straße das tiefer gelegene Sumpfland mit vereinzelten hohen, von Schlingpflanzen überwucherten Bäumen, die schief über dem verkrauteten Grund hingen. Eine Weile rollten wir direkt an dem Eisenbahndamm entlang. Dann tauchte der seltsame Sendemast von Ciudad Mante vor uns auf, als wären wir in Nebraska. Wir fanden eine Tankstelle und füllten den Tank, während die letzten Insekten der Dschungelnacht in schwarzen Myriaden gegen die Glühbirnen prallten und uns in zappelnden Klumpen vor die Füße fielen, manche mit fast zehn Zentimeter langen Flügeln, andere angsteinflößende Libellen, groß genug, um einen Vogel zu fressen, und Tausende großer wimmelnder Moskitos und scheußlicher spinnenartiger Insekten. Furchtsam hüpfte ich auf dem Bürgersteig auf und ab; schließlich flüchtete ich mich ins Auto, umklammerte mit den Händen beide Füße und blickte ängstlich nach draußen, wo sie um unsere Reifen wimmelten. «Los, fahren wir!», rief ich. Stan und Dean ließen sich von den Insekten nicht im Geringsten stören; seelenruhig tranken sie ein paar Flaschen Orangensaft und stießen die Flaschen vom Trinkwasserspender. Ihre Hemden und Hosen waren durchtränkt vom Blut und schwarz von toten Insekten, genau wie meine. Wir stanken entsetzlich.
    «Wisst ihr was? Allmählich gefällt mir dieser Geruch in der Luft», sagte Stan. «Da brauche ich meinen eigenen Gestank nicht mehr zu riechen.»
    «Es ist ein eigenartiger, guter Geruch», sagte Dean. «Ich werde mein Hemd nicht wechseln, bis wir in Mexico City sind. Ich will alles in mich aufnehmen und mich später daran erinnern.» Wir brausten weiter und hielten unsere verkrusteten Gesichter in den Fahrtwind.
    Dann ragten Berge vor uns auf, grün bewachsen. Nach der Steigung würden wir wieder auf dem großen Zentralplateau sein, bereit, geradewegs nach Mexico City zu rollen. Im Nu erreichten wir eine Höhe von annähernd zweitausend Metern, zwischen nebelverhangenen Pässen, von denen man auf fünfzehnhundert Meter tiefer dahinfließende dampfende gelbe Wasserläufe hinabblickte. Es war der mächtige Moctezuma.

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