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Unterwegs

Unterwegs

Titel: Unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kerouac
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dunkelhäutigen Mädchen abwenden, wie eine Königin schritt sie umher, auch wenn der schlechtgelaunte Barmann niedere Arbeiten von ihr verlangte, etwa dass sie uns Drinks servierte oder hinten fegte. Dabei hätte sie, von allen Mädchen hier, das Geld am nötigsten gebraucht; vielleicht war ihre Mutter gekommen, um Geld von ihr für ihre kleinen Geschwister zu holen. Die Mexikaner sind arm. Nie wäre es mir in den Sinn gekommen, einfach zu ihr hinzugehen und ihr Geld zu geben. Ich habe das bestimmte Gefühl, dass sie es mit einem hohen Maß an Verachtung angenommen hätte, und vor Verachtung von ihresgleichen schreckte ich zurück. In meinem Wahn war ich die paar Stunden, die das Ganze dauerte, in sie verliebt; es war der gleiche unverkennbare Schmerz, es waren die gleichen Stiche ins Herz, die gleichen Seufzer, und vor allem war es das gleiche ängstliche Zögern, mich ihr zu nähern. Seltsam, dass auch Dean und Stan sich ihr gegenüber zurückhielten; es war gerade ihre unantastbare Würde, die sie in einem wilden, ehrlichen alten Hurenhaus zur Armut verdammte, man stelle sich das vor. Irgendwann sah ich Dean, wie er sich, einer Statue gleich, langsam in ihre Richtung neigte, bereit, abzuheben – und wie verwirrt er war, als sie kühl und herrisch zu ihm herüberschaute: er hörte auf, seinen Bauch zu reiben, staunte mit offenem Mund und neigte schließlich den Kopf. Sie war die Königin.
    Jetzt packte uns Victor mitten in dem allgemeinen Trubel am Ärmel und machte ungeduldige Zeichen.
    «Was ist los?» Mit allen Mitteln versuchte er sich uns verständlich zu machen. Dann lief er zur Bar und riss dem Barmann, der ihn finster anstarrte, die Rechnung aus der Hand und zeigte sie uns. Sie belief sich auf über dreihundert Pesos oder sechsunddreißig amerikanische Dollar, was viel Geld ist für ein Hurenhaus. Doch auch das konnte uns nicht ernüchtern, wir wollten nicht gehen, wir wollten, obwohl wir schon ganz ausgepumpt waren, noch immer mit unseren lieblichen Mädchen herumhängen, in diesem Paradies aus Tausendundeiner Nacht, das wir am Ende der langen, beschwerlichen Straße gefunden hatten. Aber es wurde dunkel, und wir mussten ein Ende finden; auch Dean sah es ein, und er runzelte die Stirn und dachte nach und versuchte, sich zusammenzureißen. Schließlich machte ich den Vorschlag, wir sollten nun endgültig aufbrechen. «Wir haben noch so viel vor uns, Mann, also, was soll’s?»
    «Richtig!», rief Dean mit glasigem Blick und wandte sich nach seiner Venezolanerin um. Sie war endlich ohnmächtig geworden und lag jetzt auf einer hölzernen Bank, und ihre weißen Schenkel sahen unter Seidenrüschen hervor. Die Zuschauer am Fenster genossen die Show. Rötliche Schatten zogen hinter ihnen auf, und in einem Moment plötzlicher Stille hörte ich ein kleines Kind weinen, was mir in Erinnerung rief, dass ich in Mexiko war und nicht im Himmel eines pornographischen Haschischtraums.
    Wir taumelten hinaus; Stan hatten wir vergessen; wir gingen zurück, um ihn zu holen, und fanden ihn, wie er sich vor den neuen Huren verbeugte, die gerade eben zur Nachtschicht erschienen waren. Er hätte am liebsten wieder von vorn angefangen. Wenn er betrunken ist, tappt er umher wie ein drei Meter großer Mann, und wenn er blau ist, kann man ihn nicht von den Frauen wegzerren. Überdies hängen die Frauen an ihm wie Kletten. Er wollte unbedingt bleiben und einige der neueren, fremderen und kundigeren Señoritas ausprobieren. Dean und ich stießen ihm in den Rücken und schleppten ihn hinaus. Überschwänglich winkte er allen zum Abschied – den Mädchen, den Polizisten, der Menge und den Kindern draußen auf der Straße; er warf Kusshände in alle Richtungen, zu Ehren der Stadt Gregoria, taumelte stolz durch die Menge, wollte mit jedem reden und allen sein Glück und seine Begeisterung über diesen gelungenen Nachmittag des Lebens mitteilen. Alle lachten; manche klopften ihm den Rücken. Dean lief hinüber und bezahlte den Polizisten ihre vier Pesos und schüttelte ihnen die Hand und verbeugte sich grinsend vor ihnen. Dann stieg er ins Auto, und alle Mädchen, die wir kennengelernt hatten, auch Venezuela, die fürs Lebewohl geweckt worden war, versammelten sich um das Auto, rafften ihre dünnen Fähnchen um sich, schnatterten goodby und küssten uns, und Venezuela fing sogar an zu weinen – nicht wegen uns, das wussten wir, überhaupt nicht wegen uns, doch genug und reichlich genug. Meine schwarze Schöne war in den Schatten des

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