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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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davon, wie er Cotter zuhört und ihn glauben macht, sie verbände eine lange, enge Kameradschaft – fröhliche Kumpanei nennt man das wohl. Er fühlt sich etwas seltsam dabei, es ist ihm unvertraut, mit Bill zu reden, aber er spürt auch etwas Beschützendes, Geborgenes, das ihm helfen wird, die Niederlage zu überstehen, falls es dazu kommt.
    Lockman pflanzt sich auf, um den Ball abtropfen zu lassen.
    Auf der oberen Tribüne sitzt ein Mann, der die aktuelle Ausgabe von Life durchblättert. Auf der zwölften Straße in Brooklyn sitzt ein Mann, der einen Kassettenrekorder an sein Radio angeschlossen hat, um die Stimme von Russ Hodges aufzunehmen, der das Spiel kommentiert. Der Mann weiß nicht, warum er das tut. Eine spontane Regung, eine Flause, so als würde er das Spiel zweimal hören, so als wäre man jung und alt zugleich, und später wird sich heraus stellen, daß dies die einzige bekannte Aufnahme von Russ' berühmter Beschreibung der letzten Spielminuten ist. Das Spiel und seine Verästelungen. Die Frau, die Kohl kocht. Der Mann, der wünscht, er käme vom Suff los. Sie sind die entlegenere Seele des Spiels. Verknüpft durch die pulsierende Stimme im Radio, verbunden mit der Mund-zu-Mund-Propaganda, die den Spielstand bis auf die Straße trägt und zu den Fans, die die Sondernummer anrufen, und mit der Menge im Stadion, aus der das Fernsehbild wird, Menschen winzig wie Reiskörner, und mit dem Spiel als Gerücht und Mutmaßung und innerer Geschichte. In der Bronx sitzt ein Sechzehnjähriger, der sein Radio mit aufs Dach des Hauses genommen hat, damit er alleine zuhören kann, ein im Dämmerlicht kauernder Dodgers-Fan, und er hört, wie der fehlgegangene Bunt beschrieben wird und der Flugball, der den Gleichstand erzielt, und er schaut über die Dächer, Teerstrände mit ihren Wäscheleinen und Taubenschlägen und ausgelaufenen Kondomen, und er kriegt das kalte Schaudern. Das Spiel ändert nichts daran, wie du schläfst, dir das Gesicht wäschst oder dein Essen kaust. Es ändert nichts, nur dein Leben.
    Der Sendeleiter sagt: »Endlich, ein Run immerhin.«
    Russ ist fix und fertig, Mannomann, ist der wund und zerknittert und ungekämmt. Als die Mannschaften mit dem achten Inning beginnen, berichtet er, daß sie einhundertvierundfünfzig normale Saisonspiele bestritten haben und zwei Play-off-Spiele und sieben ganze Innings des dritten Play-off-Spiels, und jetzt hängen sie fest, sie sitzen gnadenlos in der Klemme, auf dem toten Punkt, Leute, also macht euch eine Chesterfield an und bleibt dran.
    Das nächste halbe Inning scheint mindestens eine Woche zu dauern. Cotter sieht, wie die Dodgers Läufer an die First und Third Base schicken. Er beobachtet, wie Maglie einen Kurvenball in den Staub setzt. Er sieht Cox, der einen Schuß an der Third Base vorbeidonnert. Ein dumpfer Lärm erhebt sich allmählich aus der Menge, Männer rufen aus den tiefsten Tiefen, eine animalische Furcht und Verzweiflung.
    In der Kabine sieht Russ, wie die Menge langsam den Zusammenhalt verliert, die Leute sitzen verstreut auf den harten Stufen, ein Priester geht mit einem Schwung Knaben im Gänsemarsch den Gang hinauf, Papier entrollt sich flatternd im Wind. Er hört den Ansager aus St. Louis auf der anderen Seite der Decke, es ist Harry Caray, er klingt so munter wie immer, bei seinem Namen fällt Russ der japanische Ausdruck für das rituelle Bauchaufschlitzen ein, und er überlegt, daß der Name mittlerweile besser zu ihm paßt als zu Harry.
    Helligkeit strömt vom Himmel herab, die Dodgers machen Punkte, ein Mann tanzt den Gang entlang, ein spitzbärtiger Schwarzer in einem Bing-Crosby-Hemd. Alles verändert seine Gestalt, wird zu etwas anderem.
    Cotter kriegt die Worte kaum heraus.
    »Was bringt es eigentlich, den Punktestand auszugleichen, wenn du dann eine Kehrtwendung machst und dich von den anderen plattwalzen läßt?«
    Bill sagt: »Die gehen jetzt auf die Spielerbank, und ich garantiere dir, die lassen nicht locker. Bei dieser Mannschaft gibt's kein Aufgeben. Mach kein langes Gesicht, Cotter. Wir Kumpel in schlechten Zeiten, wir müssen zusammenhalten.«
    Cotter merkt, wie ihn Trübsal beschleicht, ein verworrenes Selbstmitleid, die Kraft verläßt seine Arme, in seinem Kopf ertönt eine Stimme und wirft ihm vor, es mache ihm was aus. Und das Schlimme ist, daß er sich darin suhlt. Er ist ein Verlierer und weiß, wie bei der Sache mit dem Verlieren der verdrehte Lohn zu finden ist – alles wird aufgeplustert, ausgebreitet,

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