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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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hängengeblieben, ein Mann mit Schmerzen, das Aufflammen gezerrter Sehnen.
    Es rieselt wieder Papier, zerknüllte Fahrscheine und aufgebröselte Kippen und Bürozettel und zu Fliegern gefaltete Spielprotokolle, windgetrieben und meistens weiß, und Pafko geht zurück auf Position, wechselt den Schritt, um einen Trinkbecher leichtfüßig wegzukicken, die Geste dient als eine Art Anerkennung, Andeutung einer verbindenden Kraft zwischen Spielern und Fans, so wie Pafko den weißen Becher stupst, eine kleine, ganz und gar nicht mißgünstige Zugabe von der Feldseite – eine Respektbezeugung vor den listigen Kniffen des Spiels, den unerahnbaren Mustern.
    Der Mannschaftsarzt erscheint, Mueller wird auf eine Trage gelegt und zum Clubhaus gebracht. Muellers Leiden, der Schmerzzoll, den das Spiel fordert – das ergibt Sinn, ein Mann auf einer Trage.
    Die Spielunterbrechung läßt der Menge Zeit, den Lärmpegel wieder aufzubauen. Russ pausiert regelmäßig am Mikro, damit sich das Rauschen sammelt. Ein Grollen solchen Ausmaßes hat er noch nie gehört. Anfeuern oder Zujubeln kann man das nicht mehr nennen. Das ist Reviergebrüll, die Selbstbehauptung des Egos, wodurch sich die Masse von anderen Vorgängen abgrenzt, von politischen Aufmärschen oder Gefängnismeutereien – von allem jenseits der Stadionmauern.
    Russ schnüffelt sich ans Mikro ran, nur die Ruhe, obwohl er fast schreit, anders dringt man gar nicht mehr durch.
    Feldspieler sammeln sich am Werferhügel, der Cheftrainer fuchtelt Richtung Aufwärmplatz, und der eine Werfer kommt rein, der andere Werfer geht, und der Ersatzläufer für Mueller macht an der Third Base Kniebeugen.
    Irgendwer hämmert auf das Kabinendach.
    Russ sagt: »Also, nicht umschalten. Macht euch erst mal 'ne Chesterfield an. Wir bleiben dran, mal schaun, ob Ralph Branca es bringt.«
    Ja. Das ist Branca, der durch das dumpfige Gleißen stapft. Branca, ein großer strammer Kerl, der allerdings an seinem Wohl und Wehe zu tragen scheint. Ein Mann mit einer Bürde, sagt seine Ausstrahlung. Die schweren Lider, die bleiernen Füße, die wulstige Stirn. Sein Gesicht liegt hinter einer düster lauernden Nase mit breitem Rücken.
    Die Stadionpolizei geht in Stellung.
    Schau mal, der Mann auf der oberen Tribüne. Er reißt Seiten aus seinem Life-Heft und wirft sie unzerknüllt über das Geländer, läßt sie mit schaukelndem Trudeln auf die kreischenden Fans darunter segeln. Das macht er wegen des anderswo herabfallenden Papiers, es wirkt ansteckend – ein ausgelassener Spaß ohne Vorschriften. Er ignoriert das Spiel zunehmend, schickt statt dessen nur noch die Seiten über das Geländer. Das verbindet ihn mit den anderen Papierwerfern und mit den Fans auf der unteren Tribüne, die sich nach seinen Blättern strecken, sie auffangen – sie alle sind eine zweite Kraft, parallel zum Spiel.
    Nicht weit davon spürt ein anderer Mann ein Ziehen in der Brust, seine Arme werden taub. Er will sich hinsetzen, weiß aber nicht, ob er hinter sich greifen kann, um sich auf dem Sitz niederzulassen. Herz, mein Herz, mein Gott.
    Branca, der fünfundzwanzig ist, aber aussieht, als wäre er die leibhaftige Fronarbeit alter Zeiten. Als er am Werferhügel angelangt ist, haben die Helfer Mueller mit der Trage die Treppen hoch und ins Clubhaus geschafft. Den vergißt die Menge. Den würde sie auch vergessen, wenn er tot wäre. Der Lärm schwillt wieder an. Branca nimmt den Ball, und die Männer am Hügel ziehen sich zum Rand zurück.
    Shor wirft Gleason einen Blick zu.
    Er sagt: »Sag doch, daß du nach Hause willst. Wo ist es denn geblieben, dein Komm gehen wir nach Hause? Wenn wir jetzt abhauen, sind wir schneller als die Massen.«
    Er sagt: »Ihr zwei Sauhunde habt jede elende Quälerei auf Gottes weitem Erdboden verdient, meine Phantasie reicht gar nicht dafür aus.«
    Jackie sieht auch wirklich elend aus. Er lockert seine Krawatte und öffnet den oberen Hemdknopf. Er ist der einzige im Quartett, der nicht aufgesprungen ist, aber daß er sich nicht wohlfühlt, kommt nicht von der Wende im Spiel. Sondern vom Saufen seit heute morgen und vom fetten Essen.
    Shor sagt: »Sag mir, daß du nach Hause willst, dann laufe ich voraus und halte dir die Autotür auf und helfe dir hinein.«
    Rings um die Gruppe kommt Papier herunter, dicke glänzende Zeitschriftenseiten, was im augenblicklichen Tumult überhaupt nicht auffällt. Frank schnappt sich eine ganzseitige Anzeige für etwas, das sich pasteurisierte Speisekäsezubereitung

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