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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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auf einen kleinen Außenposten der Jesuiten in Nord-Minnesota, der sich auf hartgesottene Jungs und andere Jugendliche mit ungewöhnlichen Eigenschaften spezialisiert hatte.«
    »Und du warst in einer Besserungsanstalt?«
    »Ich hatte geschossen. Einen Mann erschossen.«
    »Also getötet?«
    »Getötet. Ich war siebzehn, als es passierte, und bis heute weiß ich nicht sicher, ob es Vorsatz oder Fahrlässigkeit war, oder wie immer es im Gesetz heißt. Oder war das Ganze ein grauenhafter Unfall?«
    »Und du hast sehr viel darüber nachgedacht?«
    »Ich hab's versucht, immer wieder mal. Der Augenblick ist mir im Gedächtnis geblieben. Ich habe versucht, ihn auseinanderzunehmen, ihn ganz klar in seinen Bestandteilen zu erkennen. Aber es gibt so viele durcheinanderwirbelnde Motive und zugrundeliegende Möglichkeiten und Na-unds und Warum-nichts.«
    »Was soll das heißen?«
    »Naja, irgendwann, als mein Finger schon abdrückte, an irgendeinem winzigen Punkt in der Bewegung des Geistes und der Bewegung des Fingers und der Abzug-Bewegung selbst habe ich vielleicht gesagt, Na und. Ich bin mir nicht ganz sicher. Oder, Warum mach ich's nicht und seh dann weiter.«
    »Wer war der Mann?«
    »Wer war der Mann. Er war kein Feind oder Rivale. Eher eine Art Freund. Ein Typ, der mir ab und zu unter die Arme gegriffen hat, ein älterer Mann, aber kein Einfluß, glaube ich, außer dadurch, daß er ein Gewehr hatte.«
    Plötzlich kam mir ein Gedanke, und ich sagte mit meiner Gangsterstimme: »Na jedenfalls, den hab ich ausgeknipst.«
    Eine Stimme, die meine Frau niemals gehört hatte, eine Geschichte, die ich ihr niemals erzählt hatte, und das war vielleicht merkwürdig, ich bekam dermaßen Schuldgefühle. Aber nicht sofort. Schuldgefühle, später in Phoenix – heb dir die Schuldgefühle auf für die Zimmer mit den Bücherwänden und die türkischen Gebetsteppiche und die Modemagazine im Badezimmerkorb.
    Donna lief die Nase. Sie hatte eine Mitternachtsrunde im Pool gedreht und sich verkühlt, und eine Weile redeten wir über nichts anderes. Wir redeten über die Nacht und die kühle Luft und das Essen im Restaurant.
    Dann streifte sie ihr Höschen herunter und reichte es mir. Ich warf es aufs Bett und zog mich aus.
    Ich spürte einen Hauch Entfremdung im Zimmer und dachte, sie wäre vielleicht ein Voyeur ihres eigenen Erlebens, lebte versetzt zum Augenblick und zeichnete ihn aus einer Art Zukunftsperspektive auf. Doch dann zerrte sie mich herunter, krallte sich eine Handvoll Haare und zog mich in einen Kuß, und in ihr war eine Hitze, ein hungriges Zucken, ein Schwall Lebendigkeit. Wir waren zusammengeworfen, strampelnd und rackernd, nicht genug Hände, um einander zu packen, bei weitem nicht genug Körper, um ihn auf den Körper des anderen zu pressen, wir wollten mehr Halt und Griff, eine Art kartographierten Kontakt, bei dem die Körper Punkt um Punkt zusammenpaßten, und ich richtete mich auf und sah, wie klein sie wirkte, so nackt im Bett, wie vollkommen anders als die Frau mit der Film-Aura in der Hotelhalle. Sie war schon fast auf dem Boden der Wirklichkeit angelangt, bei ihrem sexzerwühlten, hervorgezerrten Ich, und ich fühlte mich ihr nah und glaubte sie endlich zu kennen, selbst als sie die Augen schloß, um sich zu verstecken.
    Ich sagte ihren Namen.
    Wir waren ausgehöhlt wie ausgelöffelte Guajaven, als es vorbei war. Unsere Glieder schmerzten, ich hatte einen Wüstendurst, und wir hatten den Morgen totgeschlagen. Ich ging pinkeln und sah die Flüssigkeit bernsteinfarben in die sonnenüberspülte Schüssel plätschern. Wohlig, so ein Barfußpinkeln nach einem anstrengenden, anständigen Fick. Sie blieb liegen, schniefte ein bißchen und klang heiser und blechern, und ich breitete eine Decke über sie. Sie sank in gespielten Schlaf, LaßmichinRuhe-Schlaf, aber ich glitt auf die Decke und drückte mich an sie, atmete die weiche Wärme ihrer Stirn ein und nippte mit der Zungenspitze winzigste Fieberperlchen. Ich hörte die Zimmermädchen im Flur reden und wußte, wir waren aus dem Leben des anderen getreten, jetzt schon und für immer. Aber irgendein Nachhall blieb und hielt uns still, und eine Zeitlang lagen wir so da, Donna und ich, im Alles-und-Nichts unserer Liebe.
    Du hältst die tiefsten Dinge vor denen geheim, die dir am nächsten sind, und dann redest du mit einer Fremden in einem Zimmer mit Zimmernummer. Warum nach dem Grund fragen? Schuldgefühle später in Phoenix, wo ich lästigen Fragen im Alltagstrott der

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