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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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mehr oder weniger gleichrangig teilen. Dadurch wird Sex so mächtig und geheimnisvoll und schützenswert.«
    »Laß den Sex unter der Decke, willst du sagen. Aber das hat nur damit zu tun, daß du wahrscheinlich immer noch derselbe Romantiker bist wie mit zwanzig. Sex ist nicht mehr so geheimnisvoll. Das Geheimnis ist aufgedeckt. Weißt du, was Sex den meisten Menschen bedeutet?«
    Sie legte ihre Hand auf meine und bewegte ihren Venushügel ganz leicht auf meine Handfläche zu.
    »Sex ist das, was du kriegen kannst. Für manche Menschen, für die meisten ist es das Wichtigste, was sie kriegen können, ohne reich oder schlau geboren zu sein oder gar zu stehlen. Was das Leben dir geben kann, das wie bei den anderen ist oder sogar noch besser. Was du kriegen kannst, ohne sechs Jahre auf die Uni gegangen zu sein. Sex ist keine Religion und keine Wissenschaft, aber du kannst ihn erforschen und etwas über dich selbst erfahren.«
    Sie hielt inne, und tatsächlich, hier drinnen sah sie ein bißchen farblos aus, ohne den Sonnentanz des Lichts am Pool, ihr Gesicht dem unsteten Schattenwurf entzogen, der Glimmerbelebung, die ihrem Körper Konturen und Kanten verlieh. Um so interessanter, dachte ich. Um so schwerwiegender, gewichtiger. Ich war auf Echtzeit aus, auf einen ehrlichen Einblick in die Frau.
    »Und außerdem gibt es alle möglichen Arten von öffentlichem Sex«, sagte sie. »Geile Schriftsteller schreiben Sexszenen.«
    »Allein. Sie schreiben sie allein. Und man liest sie allein.«
    »Wie begegnen wir Menschen mit ähnlichen Interessen?«
    »Ich weiß es nicht. Still, heimlich.«
    »Wie Verbrecher. Aber wir sind keine Verbrecher. Wir wollen unseren eigenen Kongreß, mit Horsd'oeuvres und kleinen Servietten. Es gibt zuviel Einsamkeit in Amerika? Zu viele Geheimnisse? Laß sie raus, leg sie offen. Und komm mir nicht so nah mit deinem Blick. Du kommst mir zu nah.«
    »Wie soll ich dich sonst kennenlernen?«
    »Du lernst mich nicht kennen. Willst du gar nicht. Wir sind hier in der Wüste.«
    »Es gibt noch einen Satz aus der Wolke. Aber ich kann mich nur an einen Bruchteil davon erinnern. Es ging um den scharfen Pfeil der sehnsüchtigen Liebe.«
    »Klingt nach Porno.«
    »Du bist ein Porno, und deine Freunde sind ein Porno. Ihr habt eure eigene Zeitschrift, stimmt's? Wie jede Branche. Wie die Stein- und Kiesbranche und die Leichenbestatterbranche. Bloß daß ihr Schamhaare zeigt. Und Heimvideos mit der Post verschickt.«
    Sie hatte den Kopf erhoben, den Mund in Pseudo-Selbstgerechtigkeit verzogen.
    »Das hat nichts mit Sauereien zu tun, weißt du. Ich bin kein versauter Mensch, ob du es glaubst oder nicht« – sie fing an, mit überkippender Stimme loszulachen, etwas wild –, »auch wenn ich hier mit der Hand eines fremden Mannes auf meiner Muschi sitze.«
    Und sie hüftwackelte und stöhnte und oohte bei der Reibung – eine Stöhnparodie, aber auch echt.
    »Ich bin nicht die Hand eines fremden Mannes.«
    »Sieh mich nicht an.«
    »Wen soll ich dann ansehen?«
    »Ich bin nicht in diese verflixte Einöde gekommen, um mich analysieren zu lassen.«
    »Du bist mein Rückfall. Nicht der erste, aber der erste seit langem. Und das macht dich gefährlich.«
    »Und was macht dich gefährlich?«
    »Ich bin für dich die Ausnahme beim unterschiedslosen Ficken.«
    »Du glaubst, du machst einen Unterschied? Wodurch denn? Ich kann mich nicht mal an deinen Namen erinnern.«
    Ich sagte ihr meinen Namen, Vor- und Nachnamen, und sie sagte, er klänge falsch.
    »Mehr, ich brauche mehr«, sagte sie. »Also damals. Schwach und elend.«
    »Ja.«
    »Hast Bücher über Gott gelesen.«
    »Ja.«
    »Mit Priestern geredet.«
    »Ja.«
    »Was war denn deine Sünde? Dein Geheimnis? Der Grund für deinen elenden Zustand?«
    In ihren Augen lag die Ur-Herausforderung, aber ohne das Wissende, Amüsierte, leicht Schiefe – nicht Verachtung, sondern Unwillen, sich eventuell überraschen zu lassen. Das war verschwunden, es gab nur noch eine Neugier, die weniger freimütig und frontal war.
    Ich zog die Hand von ihrem Körper zurück, lehnte mich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, hielt den Kopf schief, um Resignation anzudeuten, Niedergeschlagenheit angesichts eines Rätsels: ein junger Mann ohne Status und am Boden.
    »Ich war vorher in einer Besserungsanstalt gewesen.«
    »In einer Besserungsanstalt.«
    »So nannten wir es. In einer Jugendstrafanstalt. Ich wurde eine Zeitlang aus dem Verkehr gezogen, und als ich wieder rauskam, ging ich

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