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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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aufgewachsen war, in einem Haus, das sturzbetrunken aussah.
    »Weißt du, was ich an dir mag? Du machst mich aggressiv und ein bißchen rücksichtslos«, sagte ich. »Ich brauche nur dazusitzen, und schon rutsch ich da wieder rein. Rückfällig im Affentempo.«
    »Was soll das denn heißen?«
    »Das heißt, daß alle interessanten Dinge in meinem Leben passiert sind, als ich jung war.«
    »Wenn du mit mir fickst, wird es ein Haßfick. Bist du dadrauf scharf? Meinst du das mit aggressiv?«
    »Nein. Aber was willst du? Du sitzt halbnackt in meinem Zimmer.«
    »Vielleicht will Barry genau das.«
    »Dich mit einem Mann ins Bett schicken, der dich haßt?«
    »Wir sind hier, um uns zu entfalten.«
    »Das läuft hier also für ihn.«
    »Kann sein.«
    »Um einen Befehl auszuführen.«
    »Nein, um gemeinsam eine Phantasie zu leben, zu verwirklichen.«
    »Und was macht Barry für dich?«
    »Geht dich 'n feuchten Kehricht an«, und das sagt sie wie eine Tresenschlampe aus der Provinz.
    Ich wollte sie nicht allzu schnell durchschauen. Vielleicht war sie gar nicht auf Sex aus, sondern auf Hintergrundstoff, auf die Art Zusatzmaterial, die ein Erlebnis vervollständigt. Wir würden rede-ficken, es aber nicht tun, und dann würde sie glücklich zu ihrem Tauschbasar zurückkehren. Ich betrachtete den blauen Fleck auf ihrem Schenkel. Den Gedanken, daß sie womöglich nur den Willen ihres Mannes ausführte, nur hier war, um das Ding durchzuziehen und es ihm dann vorzuerzählen, fand ich deprimierend, und der alte Barry schrieb wahrscheinlich nebenbei Drehbücher und verdiente sein Brot damit, Rentnern am Telefon Immobilien zu verkaufen. Als ich mich vorbeugte, um sie zu küssen, wandte sie sich mit erfahrenem Achselzucken ab, so knapp und unpersönlich, daß sie mich dadurch an den äußersten Rand des Noch-Wahrnehmbaren plazierte.
    »Vielleicht hast du gar nicht so unrecht mit mir, Donna. Vielleicht habe ich meine eigene Theorie über den Schaden, den Leute anrichten, wenn sie gewisse Dinge ans Tageslicht zerren.«
    »Nur weiter. Wir sind immer interessiert an konstruktiver Kritik.«
    »Aber ich glaube kaum, daß du das hören willst. Zu persönlich.«
    »O doch, bitte.«
    »Wahrscheinlich mache ich mich nur lächerlich.«
    »O mach dich doch lächerlich. Das fänd ich gut.«
    Sie legte ihre Armbanduhr ab und ließ sie neben sich aufs Bett fallen. Ich hatte unbändige Lust, sie auf der Stelle zu ficken, auch auf die Gefahr hin, daß sich das Unbehagen eines freudlosen Gelegenheitsficks vom Viehmarkt der Swinger ins Zimmer stahl. Weil ich nicht wußte, wie blöd ich mich anhören würde, wie schuljungenaufrichtig, oder was genau ich mit dieser Abschweifung in meine persönliche Geschichte preisgeben würde.
    »Na los. Wir lassen uns gern aufklären«, sagte sie.
    Ich lehnte mich in einen Kuß hinein, und diesmal bog sie sich nicht weg, sondern erwiderte ihn mit einem lauen Nippen, Zeichen der Entfernung, die noch zwischen uns lag.
    »Vor langer Zeit, Vorjahren hab ich mal ein Buch gelesen, das hieß Die Wolke der Unwissenheit. Geschrieben von einem anonymen Mystiker, ich weiß es nicht mehr richtig, vierzehntes Jahrhundert vielleicht, wann immer der Schwarze Tod war – er schrieb zur Zeit des Schwarzen Todes. Ein Priester gab mir dieses Buch. Das war im priesterlichen Teil meines Lebens. Er drängte mir dieses Buch auf. Und über die Jahre habe ich das meiste davon vergessen. Aber ich weiß, daß es mich an Gott als eine Kraft denken ließ, die sich uns vorenthält, weil das die Wurzel seiner Macht ist. Ich erinnere mich an einen Satz.«
    »Flotter Titel.«
    »Ich erinnere mich an den Titel, und ich erinnere mich an einen Satz.«
    Da hielt ich inne, ließ den Worten Zeit, Gestalt und Wirkung anzunehmen, hielt Donnas Knöchel umspannt und spürte eine gewisse Empfänglichkeit, etwas, das ich brauchte, um den Mangel an Harmonie zu verdrängen. Was soll's, dachte ich. Versuch's doch einfach.
    »Der Satz taucht zu Beginn des Buches auf, und damals gab er mir das Gefühl, der Autor spräche direkt zu mir, wer immer er war, ein Dichter vielleicht, ein Dichterpriester, denke ich manchmal gern. ›Halt einen Augenblick inne, du elender Schwächling, und leg Rechenschaft vor dir selbst ab.‹ Das war nämlich ich, messerscharf ausgewählt, in einem Zustand des Innehaltens und Rechenschaftablegens, zwanzig Jahre alt und dümmer als meine Altersgenossen, verzweifelt auf der Suche nach meinem Platz. Und ich las dieses Buch und fing an, mir Gott

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