Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
Vom Netzwerk:
diese Gebäude anschauen?«
    Mit dem Gedanken wollte er nichts zu tun haben.
    »Glaubst du nicht, das ist eine neue Sichtweise?«
    Wir durchquerten das Korridorlabyrinth mit seinen elektronisch gesicherten Türen, die Sims durch Einstecken einer Schlüsselkarte öffnete. Dies war die Schlaue Neue Welt der Mikroprozessoren, die kodierte Schlüssel lesen konnten. Ich mochte das Summen und Klicken der Karten im Schloß. Es bedeutete Verbindung. Ich mochte das Gefühl, daß diejenigen unter uns mit kodierten Schlüsseln Zugang zu einer besonderen Machtquelle hatten. Im Fahrstuhl sprach er seinen Namen in ein Gerät mit Stimmsensor, Simeon Branson Biggs, hinreichend sonor, und die Maschine brachte uns im Nu in den zweiten Stock.
    Wir saßen in seinem Büro.
    »Hier stirbt keiner. Ich kann mir drei Zimmer weiter auf demselben Gang den Blutdruck messen lassen. Wir haben Fitneßräume. Die messen mein Körperfett und sagen mir auf Gramm und Milligramm genau, was ich essen soll.«
    Er zündete sich eine Zigarre an und musterte mich durch den skeptischen Rauch.
    »Hier kommen die Leute in Turnschuhen und mit blonden Bärten zur Arbeit. Spielen Tennis und Volleyball. Ich schlafe jeden Abend schwarz ein und wache morgens weiß wieder auf.«
    Er trug Schuhe, die wir früher Bauerntrampler nannten, große, schwere Dinger mit abgeteilten Zehenkappen.
    »Glaubst du an Gott?« fragte er.
    »Ja, ich denke schon.«
    »Wir gehen irgendwann mal zu einem Baseballspiel.«
    Sims hatte Anrufe zu erledigen und Post zu lesen. Ich verbrachte einige Zeit mit anderen Leuten und nahm dann ein Taxi in mein Hotel – ich würde ein paar Tage hier bleiben. Und der Taxifahrer sagte etwas Seltsames auf der Fahrt. Ich wußte nicht, wo wir waren. Du kommst in eine Stadt und fährst, wohin dich der Fahrer bringt – du fährst auf Treu und Glauben. Und er sagte etwas, entweder zu mir oder zu sich selbst. Er war ein alter Bursche mit nervösen Händen und einem Stocken in der Stimme, einem halben Keucher, wie ein holpriger Filmschnitt.
    Er sagte: »Mach dir 'ne Lucky an. Zeit zum Anmachen.«
    Keiner von uns hatte eine Zigarette in der Hand oder machte irgendwelche Anstalten, eine rauszuholen. Vielleicht erinnerte er sich gerade an den alten Werbespruch, ohne Grund, und sagte ihn einfach nur so daher, weil er daran gedacht hatte, weil der Spruch aus dem Nirgendwo seines Gedächtnisses aufgetaucht und ihm durch den Kopf geschossen war, aber seltsam und beunruhigend fand ich es doch. Du kommst in eine Stadt und hörst so was und weißt nicht, was du davon halten sollst. Ich sah ihn an. Ich beugte mich zur Seite und betrachtete sein Profil und versuchte herauszufinden, was er meinte.

[Menü]
2
    E r wartete auf Chuckie Wainwright. Die breitschultrige Arbeit des Hafens umtoste ihn, ließ gewaltige Tonnagen erahnen und aufragende Schwimmkräne, Zugmaschinen und Anhänger, die auf markierte Stellplätze einrangierten, Waren in Containern lagen gestapelt an Deck riesenhafter Schiffe, so groß, daß man es kaum glauben konnte, und die Wieheißtesgleich, die Ausleger der Werftkräne, die ihre Ladung durch den Nebel schwangen. Und weiter draußen in der Bucht ein Flugzeugträger, der aufs Golden Gate zuglitt, auf den Weg gebracht von einer Köterflotte kleiner Schiffe und drei Feuerwehrbooten, die wie bei einem Abschied mit Champagner großartige Wasserbögen emporspritzten.
    Marvin schaute zum zehnten Mal in der letzten Stunde auf seine Armbanduhr. Er stand in der Nähe eines Zwischenlagers, da war er nicht im Weg. Er ähnelte einem Edelmann, der sich im Nebel verirrt hatte, in seiner Schirmmütze aus Wildleder und dem zweireihigen Regenmantel mit Schulterklappen, Koller, Raglanärmeln, vertraute Ausdrücke nach all den Jahren in der Reinigung, aufgesetzten Taschen, Gürtelschlaufen, Ärmellaschen und so vielen Knöpfen, daß er sich lebenslänglich angezogen vorkam.
    Er hatte einen Knirps dabei, in einer Hülle, die eigentlich zu einem anderen Knirps gehörte, er trug Gelbgrün in Himmelblau, nicht daß es irgendwem was ausgemacht hätte außer seiner Frau.
    Eleanor war da, zum ersten Mal begleitete sie ihn auf einer Reise bei seiner Suche nach dem Baseball. Schließlich ging es diesmal nach San Francisco, und sie wollte nicht sterben, ohne dort gewesen zu sein.
    Hinter seiner rechten Schulter lag die Bay Bridge, über die eine Million Autos pro Minute zischten, Marvin Lundy und seine Baseballmanie, nie von gehört.
    Er schaute wieder auf die Uhr und spähte über

Weitere Kostenlose Bücher