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Unterwelt

Unterwelt

Titel: Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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und zurückhaltend, als hätte sie ein bewaffneter Eindringling überrumpelt.
    Clyde wich nicht von Edgars Seite, er spürte bei der Frau ein Potential für abweichendes Verhalten. Sie trug dickes Make-up, das aussah, als hätte sie es aus einer Farbdose gegossen und gekocht. Außerdem fiel Clyde auf, daß eine Tasche an ihrem Kleid etwas durchhing, da der Saum sich löste.
    Sie wandte sich kläglich-geziert an Edgar.
    »Sie wissen, guter Mann, daß ich Sie ohne vorherige Anprobe nicht einfach eine meiner Masken tragen lassen kann. Ich muß schon den lebenden Kopf einmal angefaßt haben. Schlimm genug, daß ich mein objet nach schriftlichen Anweisungen kreieren mußte, als wäre ich ein Klempner, der eben mal ein Waschbecken anbringt.«
    Sie hatte einen europäischen Akzent, der durch den langen Aufenthalt in New York zerschlissen und versengt war. Und ihre Haare hatten den retuschierten Glanz einer toten, aufgespießten Krähe.
    Natürlich hatte sich Clyde über Tanya Berenger informiert. Sie kam ziemlich ausführlich in den Akten vor. Diverse Male war sie beschuldigt worden, Lesbe, Sozialistin, Kommunistin, Rauschgiftsüchtige, Geschiedene, Jüdin, Katholikin, Negerin, Einwanderin und ledige Mutter zu sein.
    So ungefähr alles, was Edgar ablehnte und fürchtete. Aber sie machte exquisite Masken, und Clyde hatte nicht lange gezögert, sie für den Auftrag zu engagieren.
    Er eilte in Edgars Schlafzimmer und holte die Maske.
    Als Tanya sie in der Hand hielt, schaute sie von Edgar zur Maske und wog sie gegeneinander ab, und der Direktor spürte eine eigentümliche Spannung in der Brust und fragte sich, ob er ihrer wohl würdig sei.
    Sie hielt das Objekt auf Augenhöhe, fünfzehn Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt, und blickte Edgar durch die Augenlöcher an.
    Und Edgar betrachtete nun seinerseits die Maske, als hätte sie ein Eigenleben, eine Identität, die er sich, genügend Mumm vorausgesetzt, für eine einzige Mitternacht im Partyrausch leihen könnte.
    Es war eine schlanke, schwarze Ledermaske mit bügelartigen Verlängerungen und einem Schwärm glänzender Ziermünzen um die Augen.
    Tanya fragte: »Wollen Sie sie aufsetzen oder sich mit ihr unterhalten?«
    Doch er war noch nicht soweit. »Will ich das aufsetzen, Junior?«
    »Nur Mut.«
    Tanya sagte: »Leder. Das ist so real, wissen Sie? Als würde man das Gesicht von jemand anders aufsetzen.«
    Sie setzte Edgar die Maske auf den Kopf, das gepolsterte Band nicht zu straff, das Leder lebendig auf seiner Haut.
    Dann drehte sie ihn an den Schultern langsam zum Spiegel über dem Schreibtisch.
    Clyde nahm ihm das Whiskeyglas ab.
    Die Maske verwandelte ihn. Zum ersten Mal seit Jahren sah er sich nicht als Bewohner eines alten, gedrungenen, aufgedunsenen Körpers, auf dem ein riesiger Klumpen von Kopf saß.
    »Ich darf Sie Edgar nennen – ist das recht? Ich darf Ihnen sagen, wie ich Sie sehe? Ich sehe Sie als reifen, umsichtigen Mann, in dem ein sexy Motorradrocker steckt, der endlich raus will. Was durch den Flitter eine schräge Note kriegt, verstehen Sie?«
    Er fühlte sich traumhaft, schaumhaft und trunken.
    Sie korrigierte die Paßform etwas, und obwohl er sich unter ihrer Berührung wand, verspürte Edgar einen kribbelnden Kitzel. Sie war tückisch und verdorben, und es war, als flüsterte einem die Großmutter Schweinereien ins Ohr.
    »Für mich sind Sie ein Motorrad-Macker, wissen Sie, der an der Spitze der Sadisten und Nekrophilen in die Stadt braust.«
    Clyde beobachtete mit wohlerzogenem Entsetzen, wie ein Kakerlak aus Tanyas Kleid kroch und langsam an ihrer Seite hinablief. Das Vieh hatte Spanish-Harlem-Format und Fühler, die Radio BBC hätten empfangen können.
    »Sie steht Ihnen wunderbar, Schätzchen. Für einen fülligen Mann haben Sie wilde Wangenknochen. Ich würde so gern Ihr ganzes Gesicht machen, wissen Sie? Betonen und schattieren.«
    Clyde nahm sie sanft am Arm, ihre Kakerlakenseite vor Edgars Blick verbergend.
    »Soll ich Ihnen mal was sagen? Der Ball heute abend ist die perfekte Bühne für Sie. Denn für mich sind Sie sehr schwarz und weiß. Das paßt von Kopf bis Fuß, ja?«
    Als sie fort war, kümmerten sich die Männer um praktische Vorbereitungen. Clyde reservierte den Tisch fürs Abendessen und legte ihre Abendgarderobe bereit. Edgar legte die Maske auf den Tisch und nahm ein Bad.
    Als er fertig war, zog er seinen flauschigen weißen Bademantel an und stellte sich ans Fenster, trank seinen Scotch aus. Er hörte ein Geräusch, das den

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